Leitsatz (amtlich)
Eine sozial zumutbare Verweisung einer Friseurmeisterin, die diesen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, auf die Tätigkeit der Rezeptionistin in größeren Friseursalons scheidet aus, weil in diesem Beruf der Qualifikation der Stufe 3 des Mehrstufenschemas (Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren) entsprechende allgemein zugängliche Arbeitsplätze nicht annähernd in der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als ausreichend angesehenen Anzahl von mehr als 300 bundesweit vorhanden sind.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts für das Saarland vom 08.12.2005 sowie des Bescheides vom 07.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2002 die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab Antragstellung Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zusteht.
Die 1954 geborene Klägerin hat von August 1968 bis August 1971 den Beruf der Friseurin erlernt und die Ausbildung mit Bestehen der Gesellenprüfung abgeschlossen. Danach arbeitete sie bis Dezember 1974 als Verkäuferin im elterlichen Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft. Ab 1975 war sie als Friseurin beschäftigt und hat am 01.08.1978 die Meisterprüfung im Friseurhandwerk bestanden. Ab 1980 war sie im eigenen Friseursalon mit mehreren Angestellten und Lehrlingen tätig, der seit Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit am 22.01.2001 von ihrem Ehemann weitergeführt wird. Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlaufs vom 21.10.2003 hat die Klägerin - ohne Unterbrechung ab 01.01.1981 - bis 31.03.1986 Pflichtbeiträge und in der Folgezeit ununterbrochen bis 31.10.2001 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.
Am 05.11.2001 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, woraufhin die Beklagte sie auf internistischem, orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet untersuchen ließ. Die hierüber erstellten Gutachten von Dr. H. (erstattet am 20.12.2001), Dr. Hü. (erstattet am 30.12.2001) und Dr. Dr. (erstattet am 01.02.2002) gelangten zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihren zuletzt ausgeübten Beruf sowie leichte Arbeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr mit Einschränkungen verrichten könne.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.03.2002 den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung oder wegen Berufsunfähigkeit lägen nicht vor. Die Klägerin sei noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes und in der ihr zumutbaren Beschäftigung als Rezeptionistin in einem größeren Friseursalon mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Den dagegen am 18.03.2002 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach Vorlage eines Befundberichts des Orthopäden Dr. F. (erstattet am 19.06.2002) und der hierzu abgegebenen Stellungnahme des beratenden Arztes Ni. (erstattet am 02.07.2002) durch Widerspruchsbescheid vom 28.08.2002 - als Einschreiben abgesandt am 10.09.2002 - zurück. Darin heißt es, es bestehe kein Rentenanspruch wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung nach den §§ 43, 240 SGB VI. Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden ärztlichen Unterlagen, gegenüber denen der im Widerspruchsverfahren eingeholte Befundbericht keine weiteren Einschränkungen ergeben habe, bestätigten, dass noch eine mindestens 6-stündige tägliche Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtet werden könne. Ihren bisherigen Beruf als Friseurmeisterin könne die Klägerin nicht mehr ausüben. Unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes und der während des Erwerbslebens erlangten verwertbaren Kenntnisse und Fähigkeiten komme aber noch eine mindestens 6-stündige tägliche Beschäftigung als Rezeptionistin in größeren Friseursalons in Betracht. Hiermit sei kein sozialer Abstieg verbunden.
In dem am 04.10.2002 eingeleiteten Klageverfahren hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. Ri. (erstattet am 13.04.2004 und ergänzt am 15.02.2005) sowie von Amts wegen ein schmerzmedizinisches Gutachten von Dr. Hä. (erstattet am 31.05.2005) eingeholt.
Der Sachverständige Dr. Ri. hat in seinem Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt:
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Bewegungs- und belastungsabhängige Intercostalneuralgie D6/7 links bei Zustand nach Thorakotomie wegen Pleuraempyem. |
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Bandscheibenvorfall L5/S1 bei Spondylolisthesis L5/S1 mit Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule. |
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X-Bein-Fehlstellung, ohne Krankheitswert. |