Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. saarländische Blindheitshilfe. gleichzuachtende Störung des Sehvermögens. faktische Blindheit. Erkennen-Können. spezifische Sehstörung. reflektorische Augenbewegung. Pupillenlichtreaktion. somatoforme Störung. subjektives Blindheitsempfinden. Psychogene Erblindung. Verarbeitungsstörung
Orientierungssatz
Liegt keine auf körperliche Ursachen beruhende Blindheit, sondern eine aufgrund einer somatoformen Störung subjektiv als Blindheit erlebte Erkrankung vor, stellt diese keine Blindheit iS des Saarländischen Blindheitshilfegesetzes (juris: BliHiG SL) dar.
Normenkette
BliHiG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; BVG § 30 Abs. 1, 16; SGB IX § 2 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 16.01.2012 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über die Gewährung von Blindheitshilfe bis März 2012.
Der ... 1962 geborene Kläger stellte am 10.06.2010 erstmals einen Antrag auf Gewährung einer Blindheitshilfe.
Der Beklagte holte daraufhin eine neurologisches Gutachten von Prof. Dr. K.-H. G ... (erstattet am 20.08.2010) ein. In der Zusammenfassung des Gutachtens wurde ausgeführt, dass die von dem Kläger angegebene hochgradige Einschränkung des Sehvermögens von Seiten des neurologischen Fachgebiets nicht zu erklären sei. Aus der von dem Kläger erlittenen rechts parietooccipitalen ICB könne eine Hemianopsie zur Gegenseite resultieren. Der von dem Kläger angegebene vollständige Visusverlust sei jedoch hierdurch nicht erklärbar. Außerdem sei aus neurologischer Sicht nicht zu erklären, wieso nach der Reha-Maßnahme im Dezember 2009 der Visus vom Kläger zunächst wieder als normal angegeben worden sei, sich dann jedoch abrupt verschlechtert habe. Mittels cMRT habe eine cerebrale Genese des vollständigen Visusverlusts ausgeschlossen werden können. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt liege keine Blindheit i.S.d. Saarländischen Blindenhilfegesetzes (gemeint war: Blindheitshilfegesetzes) vor.
Auf dieses Gutachten hin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16.09.2010 die Gewährung einer Blindheitshilfe ab.
Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte ein augenfachärztliches Gutachten von Prof. Dr. B. S... (erstattet am 04.04.2011) ein. In diesem Gutachten wurde u.a. ausgeführt, die Testmethoden zeigten deutlich, dass der Kläger ein funktional verwertbares Sehvermögen habe, d.h. er könne visuelle Eindrücke im Alltag nutzen. Es handele sich im vorliegenden Fall am ehesten um eine funktionelle Sehstörung bei parazentraler Fixation, die bei dem Kläger auf Grund der unterschwellig vorhandenen depressiv getönten Stimmungslage subjektiv als Blindheit wahrgenommen werde. Es sei davon auszugehen, dass sowohl die Sehschärfe (auf Grund der eingeschränkten Mustererkennung) als auch das Gesichtsfeld (bei morphologisch nachweisbarer Schädigung im Bereich der Sehrinde) eingeschränkt seien, jedoch nicht im Sinne von Blindheit. Eine bewusste Aggravation seitens des Klägers liege nicht vor. Dies zeige sich auch daran, dass der Kläger bei allen Untersuchungen kooperationsbereit gewesen sei und auch bei den elektrophysiologischen Untersuchungen, insbesondere bei der Fixation der verschiedenen Musterreize, keinen Täuschungsversuch (“diskretes Zur-Seite-Blicken„) unternommen habe. Blindheit liege weder zum Antragsmonat Juni 2010 noch zu einem anderen Zeitpunkt vor; mit einer Besserung des subjektiven Sehvermögens sei zu rechnen.
Nach Einholung einer ergänzenden versorgungsmedizinischen Stellungnahme (vom 31.05.2011) wurde der eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2011 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen den am 08.06.2011 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 27.06.2011 Klage erhoben.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat mit Urteil vom 16.01.2012 die Klage abgewiesen, wobei es der Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides gefolgt ist und ergänzend ausgeführt hat, die Kammer sei sich bewusst, dass diese der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entsprechende Entscheidung bei den Betroffenen auf Unverständnis stoßen müsse. Denn mit der Zahlung von Blindengeld werde der gesetzgeberische Zweck verfolgt, blindheitsbedingten Mehraufwand zu kompensieren. Dem Blinden solle die Möglichkeit eröffnet werden, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen sowie am sozialen Leben teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund müsste es eigentlich gleichgültig sein, aus welchem Grund der Schwerstgeschädigte nichts Verwertbares mehr sehen könne. Der akademische Streit, wonach zu differenzieren sei, ob das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt sei, oder ob eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliege, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früher...