Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Besitzstandspflegegeld nach Art 51 PflegeVG. Tod des Leistungsberechtigten. kein Anspruchsübergang nach § 19 Abs 6 SGB 12. Wirkung eines vorherigen Prozessvergleichs. Leistungserbringung zum Stichtag 31.3.1995. Gerichtskosten
Leitsatz (amtlich)
1. Besitzstandspflegegeld iS des Art 51 PflegeVG ist eine gegenüber dem Pflegegeld nach § 64 SGB XII verselbständigte Leistung, die nicht vom Wortlaut des § 19 Abs 6 SGB XII erfasst ist. Eine erweiternde Auslegung oder eine analoge Anwendung von § 19 Abs 6 SGB XII scheidet aus, da der Anspruchsübergang in § 19 Abs 6 SGB XII bewusst auf bestimmte Ansprüche in bestimmten Sachverhaltskonstellationen beschränkt wurde (vgl BSG vom 2.2.2012 - B 8 SO 15/10 R = BSGE 110, 93 = SozR 4-3500 § 19 Nr 3, RdNr 17).
2. Zu den Wirkungen eines in einem früheren Verfahren abgeschlossenen Prozessvergleichs (§ 101 SGG) auf ergangene Verwaltungsakte und einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X, mit dem erneut die Gewährung von Besitzstandspflegegeld beansprucht wird.
3. Als Besitzstandspflegegeld iS des Art 51 PflegeVG sind grundsätzlich nur solche Leistungen anzusehen, die bis zu dem in dieser Vorschrift genannten Stichtag am 31.3.1995 erbracht werden.
4. Eine Klägerin, die Ansprüche des während der ersten Instanz verstorbenen Anspruchsberechtigten hinsichtlich Besitzstandspflegegeld nicht als Sonderrechtsnachfolgerin, sondern nur als Miterbin (§§ 58, 59 SGB I) geltend machen kann, ist im Berufungsverfahren nicht kostenprivilegiert. Das Verfahren ist für Erben nur in der Instanz kostenfrei, in der es zum Zeitpunkt des Todes des Berechtigten bereits anhängig war. In weiteren Rechtsmittelzügen, wie hier in der Berufung, unterliegt die Klägerin daher der Gerichtskostenpflicht (vgl BSG vom 22.10.2015 - B 13 R 190/15 B = SozR 4-1500 § 183 Nr 11 RdNr 7).
Normenkette
PflegeVG Art. 51 Abs. 1, 4, Art. 4 Nr. 4; SGB XII § 19 Abs. 6, §§ 2, 62, 64, 166a; SGB V Fassung: 1988-12-10 § 53; SGB V Fassung: 1988-12-10 § 57; SGB XI § 13 Abs. 3 Nr. 1, § 37; SGB I § 56 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4, §§ 58, 59 S. 2; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 45; BSHG § 69 Abs. 3, 4 Sätze 1-2, Abs. 6; SGG §§ 101, 197a Abs. 1 S. 1; VwGO § 154 Abs. 1; GKG § 52 Abs. 1, 2 S. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 16.06.2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 5.000,-- EUR.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres 1956 geborenen und am 2016 verstorbenen Zwillingsbruders H. Kr. (Verstorbener) im Wege eines Überprüfungsantrags Besitzstandspflegegeld auf Grundlage von Art. 51 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz; PflegeVG) vom 15.12.1995 (BGBl. I, S. 1724), in der seit dem 30.03.2005 geltenden und hier anwendbaren Fassung (Art. 25 des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.03.2005, BGBl I, S. 818) für die Zeit ab November 2009 bis zum Todeszeitpunkt des Verstorbenen.
Der Verstorbene war geistig behindert. Ihm wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen B, G, RF und H zuerkannt. Er lebte im hier streitigen Zeitraum bei der Klägerin, die zugleich deren amtlich bestellte Betreuerin war. Er erhielt Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und arbeitete vom 06.11.1995 bis 31.01.2011 in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Die Klägerin erhielt - im streitgegenständlichen Zeitraum und auch derzeit - Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit Bescheid vom 15.11.1994 gewährte der damals zuständige Sozialhilfeträger (Landeshauptstadt A-Stadt - Der Oberbürgermeister) dem Verstorbenen auf seinen Antrag ab dem 15.10.1994 Pflegegeld nach § 69 Abs. 1, 1. HS Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Höhe von monatlich 378,-- DM (= 193,27 EUR). In einem weiteren Bescheid vom 13.03.1995 heißt es:
“…zum 01.04.1995 tritt das Pflegeversicherungsgesetz in Kraft. In diesem Zusammenhang ändern sich auch die Anspruchsvoraussetzungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum gleichen Zeitpunkt. Die bisher bewilligte Leistung nach dem BSHG … wird ab dem 01.04.1995 eingestellt.
Das betrifft sowohl das Pflegegeld als auch die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann noch ein Anspruch nach dem BSHG bestehen. Hierzu bedarf es eines erneuten Antrags.„
Daraufhin beantragte der Verstorbene am 20.03.1995 die Gewährung von Pflegegeld, woraufhin vom damaligen Sozialhilfeträger ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit in Auftrag gegeben wurde. Nachdem die Amtsärztin Dr. Fr. am 18.09.1995 feststellte, dass Pflegestufe II vorliege, wurde mit Bescheid vom 12.10.1995 u.a. ausgeführt:
“…Durch die behandelnde Amtsärztin wurde festgestellt, dass … Pflegestufe II vorliegt.
Somit wird ein Pflegegeld in Höhe von 800,-- DM monatlich festgesetzt.
Das bedeutet, d...