Verfahrensgang
SG für das Saarland (Urteil vom 16.07.1998; Aktenzeichen S 10 Vs 107/97) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 16.07.1998 aufgehoben sowie der Bescheid des Beklagten vom 20.06.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.1997 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 12.06.1990 die Voraussetzungen des gesundheitlichen Merkzeichens „RF” ab Antragstellung festzustellen.
Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung des gesundheitlichen Merkzeichens „RF” (= Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Bei der am … geborenen Klägerin waren im Versorgungsverfahren mit Bescheid vom 11.03.1980 folgende Schädigungsfolgen anerkannt worden:
- Verlust des rechten Unterarmes mit schlechten Stumpfverhältnissen und Neuromknoten
- Hypoplasie und Atrophie der Arm- und Schultermuskulatur rechts.
Mit Bescheid vom 11.01.1989 war die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 80 v.H. erhöht und der Klägerin ab dem Monat 2/87 die entsprechende Rente zuerkannt worden.
In dem Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) waren mit Bescheid vom 12.06.1990 folgende Behinderungen festgestellt worden:
- Schädigungsfolgen laut Bescheid des Versorgungsamtes Saarbrücken vom 11.03.1980
- psychische Behinderung
- Wirbelsäulen- und Gelenkleiden, Osteoporose
- Hypotonie
- Gallenleiden.
Der Grad der Behinderung (GdB) war auf 90 festgesetzt worden.
Am 29.09.1995 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag.
Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (vom 01.01.1996) fasste der Beklagte mit Bescheid vom 20.06.1996 den Katalog der Behinderungsleiden wie folgt neu:
- Schädigungsfolgen laut Bescheid des Versorgungsamtes Saarland vom 11.01.1989
- psychische Behinderung
- Wirbelsäulen- und Gelenkleiden, Osteoporose
- Hypertonie
- Gallenleiden.
Der GdB wurde auf 100 heraufgesetzt und weiter ausgeführt, dass gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nicht vorlägen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch mit der Begründung ein, dass sie Anspruch auf das gesundheitliche Merkzeichen „RF” habe. Beigefügt war dem Widerspruch eine fachärztliche Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie … (vom 01.07.1996), in der der Klägerin bescheinigt wurde, dass sie an einer schweren Neurose leide, die ihr die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unmöglich mache.
Der eingelegte Widerspruch wurde nach Einholung einer ergänzenden versorgungsärztlichen Stellungnahme (vom 19.07.1996) sowie eines Befundberichtes der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik … (vom 04.09.1996) mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.1997 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen den am 20.01.1997 per Einschreiben zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 04.02.1997 Klage erhoben.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin am 04.05.1998 einen Verschlimmerungsantrag gestellt, der mit Bescheid vom 06.11.1998 abgelehnt worden ist. In dem Katalog der Behinderungsleiden ist unter Ziffer 4 weiter ein „Carpal-Tunnel- und Sulcus-ulnaris-Syndrom links” aufgenommen worden. Die Zuerkennung der gesundheitlichen Merkzeichen „H” und „B” ist abgelehnt worden. Dieser Bescheid, der mit der Rechtsbehelfsbelehrung „Widerspruch” versehen gewesen ist, ist bestandskräftig geworden.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) einen Befundbericht von … angefordert, der am 29.09.1997 erstattet worden ist. … hat hierin ausgeführt, dass die Klägerin das Haus verlassen könne. Sie begebesich zu Ärzten und gehe auch einkaufen. Dies geschehe unter sehr hohem seelischem Aufwand. Zu öffentlichen Veranstaltungen gehe sie nicht. Ein Café oder eine Kneipe würde sie nur dann aufsuchen, wenn sie keine andere Wahl mehr hätte, etwa wegen eines dringenden Harndranges. Im Kino sei die Klägerin im Alter von 10 Jahren zum letzten Mal als Heimkind gewesen. Menschenansammlungen würden von ihr strikt gemieden. Sie müsse auf jeden Fall das „Gesehenwerden” vermeiden. Sie werde dann von einer überwältigenden Scham erfasst, die den rechten teilamputierten Arm betreffe. Beim Einkaufen ergäben sich ebenfalls außerordentlich große Probleme. Die Klägerin werde dabei beispielsweise von einer Panik erfasst und lasse ihre Ware liegen und stehen und flüchte. Aus dem Gefühl heraus, eventuell angestarrt zu werden, müsse sie auch die Geschäfte immer wieder wechseln. Wenn mal jemand eine abfällige oder ungeduldige Bemerkung über sie gemacht habe, etwa, dass sie beim Einpacken so langsam sei, könne sie dort nie wieder hingehen. Der Besuch eines Schwimmbades sei für sie völlig ausgeschlossen. Sie trage auch im Sommer langärmelige Kleidung. Busfahren könne sie nicht aus Platzängsten und weil sie sich nicht richtig festhalten könne. Bei der...