Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. kein niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger. Anwendung auch auf Ausländer ohne materielles Aufenthaltsrecht. verfassungskonforme Auslegung. Europarechtskonformität. kein Leistungsanspruch nach dem EuFürsAbk. Vorbehaltserklärung der Bundesregierung. Ansprüche nach dem SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 erfasst auch EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht; also insbesondere solche, die keine Arbeit haben und auch nicht aktiv danach suchen.

2. Europarechtlich bestehen keine Bedenken gegen § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, soweit EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht betroffen sind. Das ist mit der EuGH-Entscheidung vom 11.11.2014 (C-333/13 "Dano") nunmehr geklärt. Der Senat gibt insoweit seine bisherige Rechtsprechung einer Folgenabwägung auf.

3. Nicht zu entscheiden war über die europarechtliche Vereinbarkeit von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 hinsichtlich solcher EU-Bürger, die ein materielles Aufenthaltsrecht aufgrund Arbeitssuche besitzen.

4. Als britischer Staatsbürger genießt der Antragsteller die Rechte aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (juris: EuFürsAbk). Hinsichtlich von Ansprüchen nach dem SGB 2 hat die Bundesrepublik hier einen Vorbehalt erklärt; das schließt mögliche Leistungsansprüchen nach dem SGB 12 allerdings nicht aus.

 

Orientierungssatz

Auf die Niederlassungsfreiheit nach Art 49 AEUV kann sich berufen, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ausübt (vgl EuGH vom 25.7.1991 - C-221/89 = Slg 1991, I-3905). Maßgeblich ist die Möglichkeit, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen (vgl EuGH vom 11.3.2010 - C-384/08 = Slg 2010, I-2055).

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 7. November 2014 eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2014 ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, auch dem Antragsteller zu 1), der b. Staatsangehöriger ist, vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Zwar dürfte er die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Er ist jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergeben kann. Insbesondere ist er nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) anzusehen (dazu 1.). Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II setzt nicht voraus, dass der betreffende EU-Bürger sich tatsächlich und aktiv auf Arbeitssuche in Deutschland befindet (dazu 2.). Die Regelung des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht - jedenfalls hinsichtlich der EU-Bürger, die wie hier keine relevante wirtschaftliche Betätigung in Deutschland entfalten und sich auch nicht zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union (dazu 3.). Auch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (vom 11.12.1953 - EFA -) kann der Antragsteller zu 1) keine Leistungsansprüche nach dem SGB II herleiten, da die Bundesrepublik insoweit einen Vorbehalt erklärt hat (dazu 4.). Es verbleibt aber die Möglichkeit, Leistungsansprüche nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geltend zu machen (5.).

1.

Der Antragsteller zu 1) kann kein anderes Aufenthaltsrecht als den Aufenthalt zur Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in Anspruch nehmen. Insbesondere das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU dürfte dem Antragsteller zu 1) nicht zustehen, da er nach dem bisherigen Sachstand in diesem Eilverfahren nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Insoweit ist darauf abzustellen, ob er eine unter die europarechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV -) fallende Tätigkeit ausübt.

Auf die Niederlassungsfreiheit kann sich berufen, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ausübt (EuGH, Urteil vom 25.07.1991 - C-221/89). Maßgeblich ist die Möglichkeit, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats teilzunehmen und daraus Nutzen ...

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