Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsgewährung an EU-Ausländer. Zulässigkeit des gesetzlichen Leistungsausschlusses bei einem Aufenthalt ohne Aktivitäten zur Arbeitsuche

 

Orientierungssatz

1. Kann ein EU-Ausländer ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet lediglich aus einem Aufenthalt zur Arbeitssuche ableiten, so ist er gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr 2 SGB 2 vom Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Das gilt auch dann, wenn er aus einem Vertragsstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens stammt, da die Regelungen dieses Abkommens auf Leistungen nach dem SGB 2 jedenfalls aufgrund eines am 19. Dezember 2011 erklärten Vorbehalts der Anwendung durch die Bundesregierung nicht anwendbar sind. Dabei ist die Ausschlussregelung auch dann anzuwenden, wenn sich der Betroffene tatsächlich nicht aktiv auf Arbeitssuche im Bundesgebiet befindet, solange er nicht sein Aufenthaltsrecht aus einem materiellen Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU herleiten kann.

2. Übt ein EU-Ausländer im Bundesgebiet nur gelegentlich eine selbständige Tätigkeit aus (hier: Tätigkeit als selbständiger Tontechniker im Umfang von einem Tag je Kalendermonat), aus der er nur ein geringes Einkommen bezieht, so kann er daraus kein Aufenthaltsrecht wegen Ausübung einer selbständigen Tätigkeit herleiten, da es sich nur um eine unwesentliche wirtschaftliche Betätigung handelt. Insoweit ist die Tätigkeit auch nicht geeignet, einen Anspruch auf ergänzende Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende zu verschaffen.

 

Normenkette

FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nrn. 2, 1; SGB II § 2 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 2; SGB XII § 19 Abs. 1, § 21 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1; AEUV Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2, Art. 21, 49; RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 24 Abs. 1-2; VO(EG) 883/2004 Art. 4; VO(EG) 883/2004 Art. 70 Abs. 2; EFA Art. 1; EFA Art. 16 Buchst. b Sätze 1-2; GG Art. 3 Abs. 1

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 7. November 2014 eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2014 ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, auch dem Antragsteller zu 1), der b. Staatsangehöriger ist, vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Zwar dürfte er die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Er ist jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergeben kann. Insbesondere ist er nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) anzusehen (dazu 1.). Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II setzt nicht voraus, dass der betreffende EU-Bürger sich tatsächlich und aktiv auf Arbeitssuche in Deutschland befindet (dazu 2.). Die Regelung des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht - jedenfalls hinsichtlich der EU-Bürger, die wie hier keine relevante wirtschaftliche Betätigung in Deutschland entfalten und sich auch nicht zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union (dazu 3.). Auch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (vom 11.12.1953 - EFA -) kann der Antragsteller zu 1) keine Leistungsansprüche nach dem SGB II herleiten, da die Bundesrepublik insoweit einen Vorbehalt erklärt hat (dazu 4.). Es verbleibt aber die Möglichkeit, Leistungsansprüche nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geltend zu machen (5.).

1. Der Antragsteller zu 1) kann kein anderes Aufenthaltsrecht als den Aufenthalt zur Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in Anspruch nehmen. Insbesondere das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU dürfte dem Antragsteller zu 1) nicht zustehen, da er nach dem bisherigen Sachstand in diesem Eilverfahren nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Insoweit ist darauf abzustellen, ob er eine unter die europarechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV -) fallende Tätigkeit ausübt.

Auf die Niederlassungsfreiheit kann sich berufen, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ausübt (EuGH, Urteil vom 25.07.1991 - C-221/89). Maßgeblich ist die Möglichkeit, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines ander...

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