Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzen des Anspruchs eines Transsexuellen auf Durchführung geschlechtsangleichender Maßnahmen gegenüber der Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Bei der besonders tiefgreifenden Form der Transsexualität besteht nach § 27 Abs. 1 SGB 5 ein Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen. Dabei kann eine Abweichung von dem Grundsatz geboten sein, wonach psychische Krankheiten nicht mittels angestrebter körperlicher Eingriffe zu behandeln sind, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktion oder durch Entstellung veranlasst werden.

2. Der Anspruch des Betroffenen auf Krankenbehandlung ist auf einen Zustand beschränkt, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.

3. Beansprucht der Transsexuelle im Endeffekt die Durchführung einer Schönheitsoperation, so sind damit die Grenzen von Ansprüchen der gesetzlichen Krankenversicherung für transsexuelle Versicherte überschritten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 27.05.2020; Aktenzeichen B 1 KR 8/19 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die transsexuelle Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für eine plastische Gesichtsoperation in B..

Die im Jahr 1977 geborene Klägerin, bei der in der Vergangenheit bereits eine geschlechtsangleichende Genitaloperation durchgeführt wurde, ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 28. Dezember 2012 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine plastische Gesichtsoperation in B.. Mit ihrem Antrag reichte sie bei der Beklagten einen Kostenvoranschlag des Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen Dr. V. in Gent vom 26. November 2012 über eine gesichtsfeminisierende Operation ein. Danach sollten sich die Kosten für eine stationäre Durchführung der begehrten Operation insgesamt auf 14.900,00 EUR belaufen.

Die Beklagte schaltete daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) N. ein und bat die Klägerin sodann mit Schreiben vom 5. März 2013 um Übersendung weiterer seitens des MDK N. angeforderter Unterlagen.

Unter Bezugnahme auf das entsprechende Schreiben der Beklagten übersandte die Klägerin am 19. März 2013 zur Dokumentation zwei Fotografien ihres Gesichts sowie einen neuen Kostenvoranschlag von Dr. V. vom 9. Dezember 2012, wonach sich die Operationskosten nunmehr auf 8.100,00 EUR belaufen sollten. Dieser Betrag setzte sich ausweislich des Kostenvoranschlags aus zwei Positionen zusammen, die jeweils in Honorar und Materialkosten untergliedert waren. Erstens die Korrektur des Augenbrauenknochens, ein Stirnlifting und die Absenkung des Haaransatzes wofür ein Honorar von 4.900,- € und Materialkosten i.H.v. 400,- € sowie die Korrektur des Adamsapfels, wofür ein Honorar von 1.400,- € und Materialkosten i.H.v. 200,- € ausgewiesen wurden. Daneben sollten dem Kostenvoranschlag zufolge Anästhesiekosten in Höhe von 750,00 EUR und Kosten für den stationären Klinikaufenthalt in Höhe von 1.355,00 EUR anfallen. Die Gesamtkosten (inkl. MwSt) beliefen sich danach auf 9.005,00 EUR. Gefordert werde ein „reduzierter Preis“ von 8.100,00 EUR.

Dr. W. vom MDK N. gelangte in seiner an die Beklagte gerichteten Stellungnahme vom 28. März 2013 zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht gegeben seien. Es handele sich ausschließlich um ein kosmetisches Behandlungsziel die Versicherte begehre operative Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild. Hier sei bereits eine deutliche Annäherung an das gewünschte Geschlecht eingetreten; es imponierte insbesondere auch das Gesicht einer Frau mittleren Alters. Weitere operative Maßnahmen, um ein vermeintliches Schönheitsideal bzw. weibliches Geschlechtsideal erreichen zu wollen, seien nicht erforderlich und überschritten das Maß des medizinisch Notwendigen.

Am 21. April 2013 kontaktierte die Klägerin Dr. V. zur Abstimmung eines Operationstermins.

Mit Bescheid vom 23. April 2013 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Der MDK habe anhand der medizinischen Unterlagen keine medizinische Indikation für die begehrte Operation feststellen können. Es bestehe aus sozialmedizinischer Sicht keine Notwendigkeit, den entsprechenden Eingriff bei Dr. V. in Gent durchführen zu lassen. Darüber hinaus handele es sich bei der im Ausland begehrten medizinischen Behandlung nicht um eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechende Therapiemaßnahme im umfassenden Behandlungskonzept zur Therapie der Transsexualität.

Die Klägerin machte daraufhin mit Schreiben vom 25. April 2013 gegenüber der Beklagten geltend, dass ihr Antrag bereits nach § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als genehmigt gelten müsse, da die Beklagte über diesen nicht innerhalb der im Falle der Einschal...

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