Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Widerspruch und Anfechtungsklage. Verwaltungsakt. Aufrechnung mit Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. aufschiebende Wirkung. Nichtanwendbarkeit des § 39 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Bescheide, die eine Aufrechnung mit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Gegenstand haben, kommt aufschiebende Wirkung zu.
Orientierungssatz
§ 39 SGB 2 findet insoweit keine Anwendung.
Tenor
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gewährt und Rechtsanwalt K. beigeordnet.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
Die am 21. Dezember 2007 durch die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom 19. Dezember 2007 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat Bezug nimmt, festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den ‚Darlehensbescheid’ der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2007 in Verbindung mit den (Bewilligungs-)Änderungsbescheiden vom 24. und 27. Juli 2007 aufschiebende Wirkung hat. In dem Widerspruch vom 24. Juli 2007, in dem sich die Antragstellerin dagegen wendet, dass ihr der Betrag von 52,- € lediglich als Darlehen bewilligt worden ist, ist gleichzeitig ein Widerspruch gegen die Aufrechnungserklärung zu sehen. Was die in Form von Lebensmittelgutscheinen gewährten Darlehen von 15,- und 22,56 € betrifft, so ist der an das SG gerichtete Schriftsatz der Antragstellerin vom 16. September 2007 zugleich als Widerspruch gegen die in den Änderungsbescheiden vom 24. und 27. Juli 2007 ausgesprochenen Aufrechnungserklärungen zu werten.
Die Beschwerdebegründung, die sich zu der maßgeblichen Rechtsfrage nicht einlässt, gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Betrachtung.
Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass sich die aufschiebende Wirkung auch in den Fällen, in denen Streitgegenstand eine Aufrechnung ist, bereits aus dem Gesetz (§ 86a Abs. 1 SGG) ergibt, da § 39 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II insoweit keine Anwendung findet.
Nach § 86a Abs.1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage (grundsätzlich) aufschiebende Wirkung. Diese ist vorliegend auch nicht nach § 86a Abs. 2 SGG entfallen, da die in § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 5 SGG geregelten Tatbestände nicht einschlägig sind; insbesondere greift nicht § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 SGB II. Nach letztgenannter Vorschrift haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der (Nr. 1) über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet oder (Nr. 2) den Übergang eines Anspruchs bewirkt, keine aufschiebende Wirkung.
Mit Beschlüssen vom 29. Mai 2006 (L 5 B 77/06 ER AS, juris, und L 5 B 119/06 ER AS) hatte der Senat bereits für Verwaltungsakte, die die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen gemäß § 50 SGB - Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - zum Gegenstand haben, entschieden, dass es sich hierbei nicht um solche handelt, die über Leistungen entscheiden. Für Aufrechnungen kann nichts anderes gelten (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.1.2006, L 3 ER 128/05 AS, FEVS 58, 39 f., 40; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.7.2007, L 28 B 1053/07 AS ER, juris Rn. 7 f.; OVG Bremen, Beschluss vom 14.5.2007, S 2 B 365/06, juris Rn. 15 ff.; im Ergebnis auch Bayer. LSG, Beschluss vom 25.7.2006, L 11 B 500/06 AS ER, juris Rn. 9; Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 Rn. 15; Wagner in jurisPK-SGB II, § 39 Rn. 14 f.; Mayer in Oestreicher, SGB XII/SGBII, § 39 SGB II Rn. 42; Conradis in LPK-SGB II, § 39 Rn. 8; Pilz in Gagel, SGB III mit SGB II, § 39 SGB II Rn. 9; a.A. LSG Schleswig, Beschluss vom 5.7.2006, L 6 B 196/06 AS ER, NZS 2007, 161 ff., 162; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 39 Rn. 45). Der Senat konnte die in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage, ob die Aufrechnungserklärung im Wege eines Verwaltungsaktes zu bewirken ist, dahinstehen lassen, weil sich die Antragsgegnerin insoweit eines solchen bedient hat.
§ 39 SGB II erfasst lediglich Verwaltungsakte, die über die Bewilligung von Leistungen entscheiden, sowie - spiegelbildlich dazu - solche, die diese Bewilligung wieder aufheben. Hierzu gehören Entscheidungen über die Aufrechnung - sei es nach § 43 oder nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II - jedoch nicht, weil der durch die Bewilligungsentscheidung begründete Anspruch auf Grundsicherungsleistungen durch die Aufrechnung rechtlich nicht tangiert wird. Um aufrechnen zu können, bedarf es keiner Aufhebung der Bewilligungsentscheidung, sondern allein des Bestehens einer Forderung (vgl. § 5...