Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bei Verstoß gegen die Gleichstellung
Orientierungssatz
1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 AÜG kann eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung widerrufen werden, wenn der Betreffende die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt.
2. Unzuverlässigkeit ist u. a. anzunehmen, wenn die Vorschrift des § 8 AÜG über den Grundsatz der Gleichstellung seitens des Unternehmers gänzlich unbeachtet geblieben ist.
3. Der Widerruf der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung steht im Ermessen der Agentur für Arbeit.
Tenor
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Begehren der Antragstellerin zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid über den Widerruf der unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung vom 12. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2020 nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 86a Abs. 4 SGG anzuordnen, was ihr eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit bis zur Bestandskraft der genannten behördlichen Entscheidungen ermöglichen würde.
Der mit der Beschwerde angegriffene Beschluss des Sozialgerichts, das den Eilantrag in der Sache abgelehnt hat, steht in Einklang mit § 86a Abs. 4 Satz 1 SGG, der das Vollzugsrisiko bei einem auf § 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) gestützten Widerruf grundsätzlich auf den Antragsteller verlagert, weswegen nur ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs oder eine unbillige Härte im Sinne des § 86a Abs. 4 SGG ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen können (vgl. Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 86b Rn. 104). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung kann nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG mit Wirkung für die Zukunft u.a. widerrufen werden, wenn die Erlaubnisbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Eine Erlaubnis ist nach § 3 Abs. 1 AÜG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Ausländerbeschäftigung, über die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b AÜG, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält (Nr. 1), nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage ist, die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen (Nr. 2) oder dem Leiharbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht gewährt (Nr. 3).
Es liegen jedenfalls Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass den Leiharbeitnehmern nicht die ihnen nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen gewährt werden. Für die Vergangenheit hat die Antragstellerin einen solchen Verstoß eingeräumt. Sie beruft sich jedoch darauf, dass es sich nur um wenige Fälle gehandelt habe, in denen tatsächlich ein geringeres Arbeitsentgelt gewährt worden und nun eine nachträgliche Lohnzahlung erfolgt sei. Der nunmehr zuständige Geschäftsführer habe aus Unkenntnis die Fehler des ehemaligen verstorbenen zweiten Geschäftsführers übernommen. Mittlerweile sei auch ein Nachfolger als Geschäftsführer bestellt worden, der sich um diese Angelegenheiten kümmere. Außerdem seien neue Musterarbeitsverträge für Leiharbeitnehmer entworfen worden.
Der von der Antragstellerin eingeräumte Verstoß gegen § 8 AÜG kann nicht als unbedeutend bewertet werden. Es kann dabei offenbleiben, ob nur ein geringfügiger Schaden entstanden ist, wie die Antragstellerin vorträgt, denn entscheidend ist, dass sie die Vorschrift des § 8 AÜG nicht angewandt hat. Es erfolgte nicht nur im Einzelfall beispielsweise eine unzutreffende Einordnung eines Arbeitnehmers in eine Entgeltgruppe oder wurde der Inhalt einer anzuwenden tarifvertraglichen Regelung missverstanden, sondern die Vorschrift des § 8 AÜG über den Grundsatz der Gleichstellung ist seitens der Antragstellerin gänzlich unbeachtet geblieben. Weder hat die Antragstellerin die Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers bei dem Entleiher erfragt noch hat sie einen vom Gleichstellungsgrundsatz abweichenden Tarifvertrag im Sinne des § 8 Abs. 2 AÜG angewandt. In ihrer ersten Stellungnahme vom 23. Januar 2020 hat die Antragstellerin zunächst vorgetragen, in den Arbeitnehmerüberlassungsverträgen werde geregelt, dass sich die Arbeitsbedingungen des „Verleihers“ (gemeint wohl: Leiharbeitnehmers) nach dem zwischen ihm und dem Verleiher geltenden...