Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. einstweilige Anordnung. Abwendung eines wesentlichen Nachteils. Rechtsvereitelung. wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung. schwerer wirtschaftlicher Nachteil. Grundsicherungsleistung. Unterschreitung des Regelsatzes
Leitsatz (amtlich)
Die Annahme eines wesentlichen Nachteils iS des § 86b Abs 2 S 2 SGG scheidet generell aus, wenn Geldleistungen im Streit stehen, deren Höhe weniger als 10 vH der monatlichen Regelleistungen zum Lebensunterhalt beträgt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 13. November 2006 aufgehoben und der Antrag abgelehnt.
Die Anschlussbeschwerde wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die am 16. November 2006 durch die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom 13. November 2006 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).
Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin in den Monaten November und Dezember 2006 darlehensweise die Differenz zwischen der Wassergeldpauschale in Höhe von 17.- Euro und der tatsächlich zu leistenden Abschlagzahlung in Höhe von 43.- Euro zu bewilligen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gem. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zumachen.
Vorliegend fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Antragstellerin wesentliche Nachteile drohen, wenn sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Differenz zwischen der Wassergeldpauschale und der tatsächlich zu leistenden monatlichen Abschlagzahlung vorläufig selbst zu tragen hat. Es handelt sich hierbei um einen Betrag in Höhe von 26.- Euro monatlich. Das Vorliegen eines wesentlichen Nachteils ist jedoch in Fällen, in denen Geldleistungen im Streit stehen, deren Höhe weniger als 10 vom Hundert der monatlichen Regelleistung beträgt, generell zu verneinen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG muss eine Regelungsanordnung zur ‚Abwendung wesentlicher Nachteile nötig’ erscheinen. Der unbestimmte, durch das Gesetz nicht näher umschriebene Rechtsbegriff des wesentlichen Nachteils ist unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks da- hingehend zu konkretisieren, dass dieser nur dann vorliegt, wenn entweder die Gefahr der Rechtsvereitelung oder jedenfalls die einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung droht (Peters-Sautter-Wolff, SGG-Kommentar, § 86b RdNr. 77; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar 8. Aufl., § 86b RdNr. 28).
Die Gefahr einer Rechtsvereitelung ist, wenn - wie hier - lediglich Geldleistungen im Streit stehen, grundsätzlich nicht relevant. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht, weil derartige Beeinträchtigungen nicht mehr nachträglich ausgeglichen werden können, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG v. 12.5.2005, 1 BvR 569/05, Breith 2005, S. 803 ff., 805). Darum geht es hier jedoch nicht, weil das Existenzminimum der Antragstellerin unberührt bleibt, wie noch ausgeführt wird.
Aber auch die Gefahr einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung ist vorliegend nicht erkennbar. Diese wird dann angenommen, wenn ein Antragsteller wegen der Langwierigkeit des Hauptsacheverfahrens bis zu seiner Erledigung erhebliche rechtliche, wirtschaftliche oder auch ideelle Nachteile in Kauf nehmen müsste.
Derartige ‚erhebliche’ wirtschaftliche Nachteile drohen der Antragstellerin vorliegend nicht. Nach Auffassung des Senats führt nicht jede - geringfügige - Unterschreitung des Regelsatzes dazu, dass ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar wäre (ebenso LSG Sachsen, Beschluss v. 24.10.2006, L 3 B 158/06 AS-ER, m.w.N.; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 6.9.2006, L 13 AS 3108/06 ER-B).
Zwar wird die Auffassung vertreten, dass beim Streit um Grundsicherungsleistungen ein Anordnungsgrund in aller Regel anzunehmen sei, da diese Leistungen gerade dazu bestimmt seien, den Lebe...