Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Erwachsener. Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. kein Anspruch auf Arzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat

 

Leitsatz (amtlich)

Erwachsene haben keinen Anspruch auf Versorgung mit den Wirkstoff Methylphenidat enthaltenden Arzneimitteln zur Behandlung einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung.

 

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.

2. Die Beschwerden des Antragstellers werden zurückgewiesen.

3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm Arzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Concerta, Ritalin, Equasym, Medikinet) als Sachleistung zur Verfügung zu stellen bzw. eine Kostenerstattung vorzunehmen.

Der 1964 geborene Antragsteller leidet nach den Feststellungen des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U. an einer Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter. Die behandelnden Ärzte Dr. G. und Dr. U. beantragten bei der Antragsgegnerin die Genehmigung der Verordnung eines Arzneimittels mit dem Wirkstoff Methylphenidat außerhalb der Zulassung. In dem Fragebogen Arzneimittelverordnung führte Dr. U. u.a. aus, bei dem Antragsteller liege zusätzlich ein Kokainkonsum vor. Als Kind sei der Antragsteller hyperaktiv gewesen. Nach einem Arbeitsplatzwechsel sei Arbeitsfähigkeit nur mit Kokain möglich gewesen. Therapieziel sei die Beendigung des Kokainkonsums bei ADHS. Alternative Therapien bei dem substituierten heroinabhängigen Patienten bestünden nicht.

Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) mit einer Stellungnahme. Der Gutachter Dr. O. kam zu dem Ergebnis, dass eine Verordnung des begehrten Medikaments zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse ausscheide. Zwar könnten aufgrund des Kokainkonsums und der Heroinabhängigkeit eine schwere psychosoziale Störung nicht ausgeschlossen und im Einzelfall eine Wirksamkeit von Methylphenidat im Erwachsenenalter nicht von der Hand gewiesen werden. Eine Wirksamkeit bei Patienten mit Drogenabhängigkeit und ADHS sei durch entsprechende Studien aber nicht hinreichend belegt.

Mit Bescheid vom 2. März 2007 lehnte die Antragsgegnerin die Genehmigung einer Arzneimittelverordnung mit dem Wirkstoff Methylphenidat ab. Hiergegen legte der Antragsteller am 1. November 2007 Widerspruch ein. Mit Attest vom 27. Dezember 2007 stellte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G1 als Diagnosen für den Antragsteller eine Anpassungsstörung, einen schädlichen multiplen Substanzgebrauch, den Konsum anderer psychotroper Substanzen und den Verdacht auf eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung fest. Die weitere Verordnung von Methylphenidat sei aus fachärztlicher Sicht indiziert. Eine Anbindung an eine Drogenberatungsstelle sei sinnvoll. Die Antragsgegnerin beauftragte den MDK erneut mit einer Stellungnahme. Dr. O. führte im Gutachten vom 4. März 2008 aus, dass das Vorliegen einer die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Erkrankung diskutiert werden könne. In der Literatur werde ein zweifach höheres Suchtrisiko für Erwachsene mit ADHS angenommen. Der Einsatz von Methylphenidat werde in dieser Patientengruppe von der Literatur kontrovers diskutiert. Im Rahmen einer PubMed-Recherche hätten keine kontrollierten, doppelblinden, randomisierten Studien identifiziert werden können, die einen zusätzlichen Nutzen von Methylphenidat signifikant belegten. Insoweit könne die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellte Voraussetzung, dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg zu erzielen, nicht angenommen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2008 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Antragsteller am 23. Mai 2008 Klage erhoben (S 28 KR 766/08).

Am 29. Mai 2008 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Es dürfte unstreitig sein, dass die ADHS-Erkrankung die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtige. Das dritte Kriterium des BSG, aufgrund der Datenlage müsse die Aussicht bestehen, dass bei dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werde, sei vom Bundesverfassungsgericht modifiziert worden. Danach genüge es bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, dass eine dem medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Dabei könne das ADHS-Syndrom nicht isoliert gesehen, sondern müsse ganzheitlich unter Berücksichtigung der Drogenerkrankung betrachtet werden. Der Antragsteller sei zurzeit gehalten, sich für die Beschaffung des Arzneimit...

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