Entscheidungsstichwort (Thema)
Territorialitätsprinzip. Aufenthalt im Ausland. räumlicher Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausdruck des im Recht der Sozialhilfe geltenden Territorialitätsprinzips. Aus ihm folgt, dass – über § 24 SGB XII hinausgehend – bereits bei tatsächlichem Aufenthalt im Ausland Leistungen nicht zu gewähren sind, wenn der sozialhilferechtliche Anspruch erst im Ausland entsteht (Anschluss an BVerwG, Urt. vom 22.12.1998 – 5 C 21/97 –).
Normenkette
SGB XII § 98 Abs. 1 S. 1, §§ 24, 63; SGB I § 30; SGG § 86b Abs. 2
Verfahrensgang
SG Hamburg (Beschluss vom 06.06.2005) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen der häuslichen Pflege für einen dreimonatigen Auslandesaufenthalt zu Ausbildungszwecken nach § 63 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) zu verpflichten, zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die das Beschwerdegericht Bezug nimmt, abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Die Antragstellerin hat auch hiernach keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen, weil ihr tatsächlicher Aufenthalt während des Leistungsbezuges im Ausland läge.
Dem Recht der Sozialhilfe des SGB XII liegt – ebenso wie demjenigen des außer Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) – das in § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – normierte Territorialitätsprinzip zugrunde, wonach die sozialstaatliche Einstandspflicht nur für Personen besteht, deren Bezug zum räumlichen Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches bestimmten Anforderungen genügt. Für den Bereich der Sozialhilfe kommt es nunmehr vorrangig in § 24 SGB XII zum Ausdruck, wonach Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, außer in bestimmten außergewöhnlichen Notlagen vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind. Als Ausprägung dieses Prinzips ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. vom 22. Dezember 1998 – 5 C 21/97 – juris) aber auch § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG anzusehen gewesen. Nach dieser Vorschrift war für die Sozialhilfe derjenige Träger zuständig, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhielt. Nach der erwähnten Rechtsprechung war dieser Regelung – über die bloße Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers hinaus – aber auch zu entnehmen, dass bei fehlender örtlicher Zuständigkeit eines Trägers der Sozialhilfe infolge Auslandsaufenthalts gleichzeitig ein entsprechender Leistungsanspruch zu verneinen war. Dieser Rechtsprechung folgt der beschließende Senat für die inhaltsgleiche Vorschrift des § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Die Antragstellerin ist vom Bezug der begehrten Leistung ausgeschlossen, weil der Anspruch erst entsteht, wenn sie ihren tatsächlichen Aufenthalt nach Madagaskar und damit aus dem Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin hinaus verlegt haben wird. Dass die Antragstellerin bereits vom Heimatland aus Verträge mit einem auf Madagaskar ansässigen Hilfeträger geschlossen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn Zahlungen muss die Antragstellerin erst leisten, wenn sie sich im Ausland befindet und die Hilfe dort tatsächlich in Anspruch nimmt. Erst der Aufenthalt dort begründet den sozialhilferechtlichen Bedarf.
Auch das Beschwerdegericht vermag einen Verstoß gegen das Grundrecht der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG oder das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu erkennen. Ebenso wenig kann die Antragstellerin aber mit ihrer im Beschwerdeverfahren wiederholten Berufung auf das aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG folgende Benachteiligungsverbot für Behinderte durchdringen. Zwar liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. vom 8. Oktober 1997 – 1 BvR 9/97 – juris) eine Benachteiligung nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern, indem ihm etwa der tatsächlich mögliche Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird oder Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustehen, verweigert werden. Vielmehr kann nach dieser Rechtsprechung eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert...