Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzneimittelregress gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels

 

Orientierungssatz

1. Die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung wird u. a. durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen geprüft. Soweit der Prüfungsausschuss feststellt, dass der Arzt im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder gegen Verordnungsausschlussregelungen verstoßen hat, kann er nach § 106 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3 SGB 5 einen Regress festsetzen.

2. An der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie fehlt es, wenn das verwendete Mittel nach dem Arzneimittelrecht einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist. Wird das Arzneimittel trotz fehlender Verordnungsfähigkeit verordnet, so ist Unwirtschaftlichkeit gegeben und dem Vertragsarzt eine unwirtschaftliche Verordnungsweise anzulasten.

3. Der Antrag auf Zulassung des Arzneimittels Leuko Norm wurde im Juni 1991 gestellt und im Dezember 2006 wegen fehlender Wirksamkeitsnachweise abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.

4. Die Voraussetzungen eines sog. off label use, die ausnahmsweise zur Verordnungsfähigkeit führen, liegen dann vor, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung besteht, eine andere Therapie nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Daran fehlt es, wenn Leuko Norm zur Behandlung immunsupprimierter Patienten eingesetzt wird.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses wegen der Verordnung des Medikaments LeukoNorm C.® (im Folgenden: LeukoNorm) für das Jahr 2006.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt Infektiologie an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung teil. Das Arzneimittel LeukoNorm der C. AG war ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel in der Darreichungsform Trockensubstanz und Lösungsmittel. Es war ein verschreibungspflichtiges Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung (Auflösung in isotonischer Natriumchloridlösung), die intramuskulär zu injizieren war. Der Wirkstoff ist humanes Leukozyten-Ultrafiltrat, das aus den weißen Blutkörperchen gesunder Blutspender gewonnen wird. LeukoNorm wurde bei Erkrankungen der körpereigenen Abwehr als Immuntherapeutikum eingesetzt. Das Arzneimittel war in der DDR entwickelt und dort 1986 zugelassen worden und aufgrund dieser Zulassung dort verkehrsfähig. Aufgrund des Einigungsvertrages vom 3. Oktober 1990 in Verbindung mit § 2 Nr. 2 und Anlage 3 Kapitel II Nr. 1 § 4 Abs. 1 der Verordnung zur Überleitung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften auf das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2915) galt es als sog. DDR-Altarzneimittel auch im Gebiet der alten Bundesrepublik als zugelassen (sog. fiktive Zulassung) und war bei Stellung eines Verlängerungsantrags verkehrsfähig. Ein Wirksamkeitsnachweis nach den Regeln des Arzneimittelgesetzes (AMG) liegt einer fiktiven Zulassung nicht zugrunde. Eine Arzneimittelzulassung nach §§ 21 und 25 AMG liegt mit ihr nicht vor. Erst mit der Verlängerung des Arzneimittels - vgl. § 4 Abs. 2 der oben genannten Verordnung und § 105 AMG - ist die Prüfung der Wirksamkeit nach dem AMG abgeschlossen und hat das Arzneimittel eine Zulassung nach dem geltenden AMG. Ein Antrag auf Verlängerung der - fiktiven - Zulassung (sog. Nachzulassung) war im Juni 1991 durch die C. AG gestellt worden. Durch Bescheid des P.-Instituts vom 22. Dezember 2006 ist die beantragte Nachzulassung abgelehnt worden, weil die Wirksamkeit des Arzneimittels in keiner der beantragten Indikationen in einer wissenschaftlich fundierten Weise nachgewiesen worden sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage des Herstellers hat das Verwaltungsgericht Darmstadt durch Urteil vom 16. Dezember 2010 abgewiesen.

Am 31. Oktober 2008 leitete der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen in H. bzw. die Gemeinsame Prüfstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. wegen Überschreitens des Richtgrößenvolumens für Arzneimittel Prüfungsverfahren gegen den Kläger ein. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2008 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 32.602 Euro für das Jahr 2006 fest. Dabei hatte er von der erklärungsbedürftigen Überschreitung der Richtgröße in Höhe von 187.936 Euro diejenigen Verordnungskosten, die sich durch Praxisbesonderheiten erklären ließen oder unklar waren, abgezogen. Vor allem Verordnungskosten für LeukoNorm (32.602 Euro) wurden dagegen nicht in Abzug gebracht, da es sich hierbei nicht um eine Standardtherapie immunsupprimierter Patienten gehande...

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