Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufhebung eines Dauerbescheides. ex nunc. Überschreiten der Zehnjahresfrist
Orientierungssatz
Sind mehr als 10 Jahre (hier: 18 Jahre) seit einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vergangen, ist eine Aufhebung nach § 48 SGB 10 mit Wirkung für die Zukunft zulässig (vgl. BSG vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 = BSGE 72, 1).
Tatbestand
Streitig ist die Entziehung einer Verletztenrente mit Wirkung für die Zukunft wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse.
Der 1946 geborene Kläger erlitt 1969 einen Arbeitsunfall, infolge dessen es zu einem Linsenverlust des linkes Auges kam. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Augenarzt Dr. G-D untersuchen, der in seinem Gutachten vom 8. Juni 1971 insbesondere eine Verringerung der Sehschärfe auf dem linken Auge ohne Korrektion auf 0, 4 sowie den Verlust des körperlichen Sehens feststellte und ergänzend ausführte, dass eine Haftschale nicht vertragen werde. Mit Bescheid vom 24. Januar 1971 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.. Im Juli 1973 stimmte der Geschäftsführer dem in einem Aktenvermerk enthaltenen Vorschlag des Sachbearbeiters zu, von weiteren Nachuntersuchungen abzusehen, da keine Minderung der Unfallfolgen zu erwarten sei.
Der seit 1976 mit einer weichen Kontaktlinse auf dem linken Auge versorgte Kläger gab 1976 und 1977 auf Befragen der Beklagten an, daß diese ganztägig beschwerdefrei getragen würde. 1977 wurde er nochmals durch Prof. Dr. G-D untersucht, der in seinem Gutachten vom 1. April 1977 eine Sehschärfe mit Haftschale von 0, 5 feststellte, jedoch empfahl, die MdE bei 20 v.H. zu belassen, da weiterhin kein beidäugiges räumliches Sehvermögen bestehe.
Nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Augenarztes Dr. S vom 8. März 1994 sowie eines Gutachtens des Augenarztes Dr. W vom 1. Juli 1994, der bei dem mit -- beschwerdefrei getragener -- Kontaktlinse versorgten Kläger eine Sehschärfe von 0, 66 und ein volles räumliches Sehvermögen feststellte, entzog die Beklagte diesem nach Anhörung mit Bescheid vom 25. August 1994 die Verletztenrente mit Ablauf des Monats September 1994.
Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 1994 zurückgewiesen. Durch das verbesserte Sehvermögen, das nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) vom 6. Februar 1990 nur noch eine MdE von 10 v.H. rechtfertige, sei eine wesentliche Änderung eingetreten.
Im Rahmen des Klageverfahrens hat das Sozialgericht einen Befundbericht von Dr. S vom 13. Juni 1995 sowie Gutachten der Augenärzte Dr. Sch (vom 10. Januar 1996), Dr. W (vom 4. Juli 1998) sowie -- auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz -- SGG -- Dr. B (vom 24. Februar 1997) eingeholt. Dr. W und Dr. B haben ihre Gutachten zudem in der mündlichen Verhandlung am 17. August 1998 erläutert.
Als Sehschärfe auf dem linken Auge (mit Korrektur durch Kontaktlinse) wurde von Dr. Sch ein Wert von 0, 63, von Dr. W von 0, 4 (Ferne) und 0, 5 (Nähe) sowie von Dr. B von 0, 5 ermittelt. Dr. Sch und Dr. W stellten eine Wiederherstellung des räumlichen Sehvermögens fest; von Dr. B wurden keine entsprechenden Messungen vorgenommen. Während Dr. Sch und Dr. W insbesondere wegen reizfreier Lider und Bindehaut eine Kontaktlinsenverträglichkeit bejahten, vertrat Dr. B die Auffassung, dass die Kontaktlinse vom Kläger in der letzten Zeit nur stundenweise vertragen werde.
Dr. Sch und Dr. W nahmen eine wesentliche Besserung gegenüber dem im Gutachten vom 8. Juni 1971 festgehaltenen Befunden an und schätzten die fortbestehende MdE auf 10 v.H. ein, während Dr. B unter Hinweis auf die subjektiven Beschwerden des Klägers, einen sekundären grünen Star mit sichtbarem Sehnervenschaden und ein konzentrisch eingeengtes Gesichtsfeld des linken Auges eine Verschlechterung feststellte und weiterhin eine MdE von 20 v.H. befürwortete.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. August 1998 abgewiesen. Die wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bestehe darin, dass die Sehschärfe von 0, 4 auf mindestens 0, 5 gestiegen und das räumliche Sehvermögen wieder hergestellt sei. Dies werde auch nicht durch eine Kontaktlinsenunverträglichkeit in Frage gestellt, da diese, wie sich aus den Gutachten von Dr. W und Dr. Sch ergebe, nicht vorliege. Die Bindehautreizung bestehe nicht ständig; bei der Untersuchung durch Dr. Sch und Dr. W habe sie nicht vorgelegen. Von den hin und wieder auftretenden Bindehautreizungen sei auch das rechte Auge betroffen; zwei Augenarztbesuche pro Jahr seien für einen Linsenträger normal. Die eingetretene Änderung sei auch wesentlich, da die MdE nach Besserung nur noch 10 v.H. betrage. Die 10-Jahres-Frist stehe der Aufhebung der Rentengewährung für die Zukunft nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen, da deren Verstreichen nur eine rückwirkende Au...