Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an eine rechtlich wesentliche Änderung der Unfallfolgen zur Bewilligung höherer Verletztenrente. Wiedergewährung nach erfolgter Abfindung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 76 Abs. 3 SGB 7 i. V. m. § 73 Abs. 3 SGB 7 und § 48 Abs. 1 S. 1 SGB 10 ist eine Versichertenrente zu zahlen, soweit nach der Abfindung eine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 73 Abs. 3 SGB 7 ist eine Änderung i. S. des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB 10 hinsichtlich der Höhe der MdE wesentlich, wenn sie mehr als 5 v. H. beträgt.

2. Hinsichtlich der MdE und der Frage, ob eine rechtlich wesentliche Änderung angenommen werden kann, ist die in dem letzten bindenden Bescheid im Verfügungssatz genannte Gesamt-MdE, welche der Rentengewährung zugrunde gelegen hat, mit der aktuell anzusetzenden Gesamt-MdE zu vergleichen.

3. Ein Versicherter, der Unfallrente nach einer MdE um 20 % erhält oder dessen Rente nach einer solchen MdE abgefunden worden ist, und dessen Gesundheitszustand sich so verschlechtert, dass nun eine MdE von 25 % anzunehmen wäre, hat keinen Anspruch auf höhere oder auf Wiedergewährung der Rente, weil die eingetretene Änderung keine rechtlich wesentliche ist. Hierzu wäre eine Differenz von mehr als 5 % erforderlich.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 31.08.2017; Aktenzeichen B 2 U 74/17 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.10.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Wiedergewährungen einer Rente nach erfolgter Abfindung.

Der im Februar 1948 geborene Kläger erlitt am 07.10.1974 bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit in Portugal eine perforierende Verletzung des rechten Auges mit Hornhautnarbe und Aphakie (Linsenlosigkeit). Ausweislich des Gutachtens des Augenarztes Dr. S vom 01.02.1977 bestand am linken Auge eine Sehschärfe von 1,0 und am rechten Auge bei notwendiger Anwendung einer problemlos vertragenen Kontaktlinse eine Sehschärfe von 0,8. Die MdE sei mit 20 v. H einzuschätzen.

Auf dieser Grundlage gewährte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger mit Bescheid vom 23.02.1977 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. ab dem 22.10.1974 unter Anerkennung der Unfallfolge: "Linsenlosigkeit nach perforierender Verletzung des rechten Auges". Auf Antrag des Klägers wurde diese Rente mit Bescheid vom 19.01.1985 mit Wirkung vom 01.02.1985 unter Auszahlung eines Betrages von 102.468,20 DM gemäß § 604 Reichsversicherungsordnung (RVO) abgefunden.

Mit Schreiben vom 05.06.2011 stellte der Kläger über seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt bei der Beklagten einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X). Die 1977 getroffene Feststellung einer MdE von 20 v. H. könne keinen Bestand haben, da das rechte Auge praktisch erblindet gewesen sei und eine weitgehende Linsenunverträglichkeit nicht berücksichtigt worden sei. Auch sei die Sehkraft des linken Auges sei nicht einwandfrei beurteilt worden.

Die MdE hätte damals mit 30 v. H. bemessen werden müssen, so dass jetzt eine Rente in Höhe von weiteren 10 v. H. zu zahlen sei. Zugleich stelle er vorsorglich auch einen Verschlimmerungsantrag nach § 48 SGB X, da sich die Sehfähigkeit des rechten Auges seit 1985 laufend verschlechtert habe. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei erneut eine Rente zu zahlen.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Augenarzt Q, der am 20.07.2012 ausführte die Kontaktlinse werde am rechten Auge nicht mehr vertragen, da Entzündungen und Vernarbungen der Hornhaut eingetreten seien. Mit einer Brille könne keine Sehschärfe besser als 1/50 erreicht werden. Infolge der schlechten Sehfähigkeit habe sich ein sekundäres Einwärtsschielen entwickelt. Die Blendempfindlichkeit sei erhöht. Da die MdE nicht höher als beim Verlust des Auges sein könne, betrage die MdE 25 v. H.

Mit zwei Bescheiden vom 16.08.2012 lehnte die Beklagte zum einen die Erhöhung der MdE von 20 v. H. ab, da sich die dem Bescheid vom 23.02.1977 zugrundeliegenden Verhältnisse nicht wesentlich geändert hatten Auch lehnte es die Beklagte ab, den Verwaltungsakt vom 23.02.1977 nach § 44 SGB X zurückzunehmen, da bei seinem Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2012 (zur Post gegeben am 05.12.2012), der Ausführungen sowohl zu der geltend gemachten Rücknahme im Wege eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X als auch zu dem Nichtvorliegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen nach § 48 SGB X enthält, zurück.

Am 14.12.2012 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben und hier ausdrücklich den Antrag gestellt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2012 zu verurt...

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