Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzneimittelregress gegen einen Vertragsarzt wegen unwirtschaftlicher Verordnung eines Medikamentes

 

Orientierungssatz

1. Bei dem Arzneimittel Forsteo mit dem Wirkstoff Terirabid handelt es sich um ein hormonell wirkendes Medikament zur Behandlung besonderer Erscheinungsformen der Osteoporose, das die Knochenneubildung stimuliert, welches erstmals am 10. 6. 2003 zugelassen wurde und dessen Zulassungsumfang sich seither mehrfach geändert hat.

2. Bei einem Arzneimittelregress findet nach § 106 Abs. 5 S. 8 SGB 5 in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht des Vertragsarztes für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch Richtlinien nach § 92 SGB 5 ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Das gilt nach der Rechtsprechung des BSG aber nicht bei Regressen wegen der zulassungsüberschreitenden Verordnung von Arzneimitteln (Anschluss BSG Urteil vom 02. Juli 2014, B 6 KA 25/13 R).

3. Der Umfang der Zulassung eines Arzneimittels ergibt sich nicht nur aus den Angaben in der sog. Roten Liste bzw. in den Fachinformationen, sondern auch aus den maßgeblichen Angaben zur Dosierung und Anwendungsdauer. Ist wegen eines möglichen Auftretens lebensbedrohlicher Nebenwirkungen bei Langzeitanwendung die maximale Anwendungsdauer auf einen konkret benannten Zeitraum begrenzt, so ist der verordnende Vertragsarzt daran gebunden.

4. Will der Vertragsarzt bei Annahme einer lebensbedrohlichen Erkrankung das Risiko eines Regresses vermeiden, so ist er bei Erfüllung seiner Dokumentationspflicht gehalten, das Arzneimittel auf Privatrezept zu verordnen und damit dem Versicherten die Möglichkeit zu geben, die Kostenübernahme durch die Krankenkasse zu beantragen.

5. Kann der Vertragsarzt eine Behandlungspflicht des Versicherten nicht nachweisen, welcher er nur durch Verordnung des Arzneimittels auf Kassenrezept habe nachkommen können und liegt auch kein sog. Seltenheitsfall vor, so kann die Gemeinsame Prüfstelle den Vertragsarzt wegen Überschreitens der maximalen Therapiedauer in Höhe des entsprechenden Nettowertes in Regress nehmen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.08.2015; Aktenzeichen B 6 KA 7/15 B)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist ein Arzneimittelregress in Höhe von 1.618,10 EUR wegen unwirtschaftlicher Verordnung des Medikaments Forsteo im Quartal III/2007.

Bei dem Arzneimittel Forsteo mit dem Wirkstoff Teriparatid handelt es sich um ein hormonell wirkendes Medikament zur Behandlung besonderer Erscheinungsformen der Osteoporose, das die Knochenneubildung stimuliert, das erstmals am 10. Juni 2003 zugelassen wurde und dessen Zulassungsumfang sich seither mehrfach geändert hat:

- Seit August 2007 wurde das Anwendungsgebiet, das sich bis dahin auf die Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit einem hohen Frakturrisiko beschränkt hatte, auch auf Männer mit einem hohen Frakturrisiko erweitert (Indikationserweiterung vom 19. Juli 2007, berücksichtigt in der Fachinformation mit Stand August 2007). Zur Art und Dauer der Anwendung hieß es in Abschnitt 4.2 Abs. 3 der damaligen Fachinformation: Die maximale Therapie-Dauer mit Forsteo beträgt 18 Monate (siehe Abschnitt 4.4). In Abschnitt 4.4 wurde ausgeführt, dass sich bei Studien in Ratten eine erhöhte Inzidenz von Osteosarkomen bei Langzeit-Anwendung von Teriparatid gezeigt habe. Bis zum Vorliegen weiterer Daten dürfe die empfohlene Behandlungsdauer von 18 Monaten nicht überschritten werden. - Im April 2008 wurde der Abschnitt 4.2 Abs. 3 um einen zweiten Satz erweitert, der wie folgt lautete: Diese 18-monatige Therapie sollte im Laufe des Lebens beim gleichen Patienten nicht wiederholt werden. - Im Jahr 2009 wurde die maximale Therapiedauer auf 24 Monate angehoben, was wesentlich auf eine 2009 veröffentlichte Studie zurückging.

Aufgrund eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21. November 2006 wurde folgender Therapiehinweis zu Teriparatid in die Anlage 4 zur aufgrund von § 92 Abs. 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erlassenen Arzneimittel-Richtlinie (AMRL) aufgenommen (BAnz. 2007, Nr. 58 (S. 3121), veröffentlicht auch in DtschÄrztebl 2007, 104 (15)):

Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise Teriparatid ist zur Behandlung der manifesten Osteoporose bei postmenopausalen Frauen nur ein Mittel der zweiten Wahl. Die Verordnung bleibt lediglich definierten Ausnahmefällen vorbehalten. Hinsichtlich der Frakturrate hat Teriparatid gegenüber anderen Osteoporosemitteln, insbesondere Bisphosphonaten, keine nachgewiesene Überlegenheit ... Teriparatid ist wegen der im Vergleich zu Bisphosphonaten bis zu 35-fach höheren Tagestherapiekosten in der Regel unwirtschaftlich. Unter folgenden kumulativen Bedingungen ist eine Verordnung von Teriparatid möglich: - nur bei manifester Osteoporose mit mindestens 2 neuen Frakturen in den letzten 18 Monaten und - kein ausreichendes Ansp...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge