Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen der Amtsermittlungspflicht des Sozialgerichts in einem Verfahren über die Bewilligung von Erwerbsminderungsrente
Orientierungssatz
1. In einem Verfahren über die Bewilligung von Erwerbsminderungsrente ist die gerichtliche Entscheidung aufgrund eines ärztlichen Gutachtens nach Aktenlage zulässig, wenn sich der Kläger weigert, die Reise zum Gutachter anzutreten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine längere Reisezeit aufgrund einer Erkrankung nachweisbar unzumutbar ist.
2. Kann der Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen des Klägers aufgrund eingeholter medizinischer Befundberichte und verwertbarer Gutachten abschließend vom Gericht beurteilt werden, so ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch das Sozialgericht nicht geboten.
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Die 1972 geborene Klägerin verfügt über einen Hauptschulabschluss, jedoch keine Berufsausbildung. Sie hat verschiedene ungelernte Tätigkeiten ausgeübt und stellte am 1. Februar 2013 einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Der von der Beklagten beauftragte Facharzt für Innere Medizin Dr. E. kam nach Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 11. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein mittelgradiges Schlaf-Apnoe-Syndrom mit Tagesmüdigkeit ohne nennenswerte Auswirkungen auf das Leistungsvermögen gegeben sei. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 15. November 2013 ab. Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 16. Dezember 2013 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, sie sei schon seit fünf Jahren wegen BWS- LWS und- HWS-Schmerzen in Behandlung. Die Schmerzen hätten sich erheblich verschlimmert. Darüber hinaus leide sie an einer schweren Schlafapnoe, eine Beatmungstherapie komme für sie nicht in Frage. Sie habe außerdem einen Hörsturz links und auch rechts erlitten. Sie sei aufgrund ihres derzeitigen Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin sei unter Berücksichtigung ihrer Gesundheitsstörungen imstande, leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Zwangshaltungen, ohne besonders hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit oder Konzentration mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Damit seien die Voraussetzungen für eine teilweise oder volle Erwerbsminderungsrente nicht gegeben.
Mit der am 2. Oktober 2014 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass die Beklagte fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass die Klägerin gesundheitlich in der Lage sei, Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Klägerin leide an den von der Beklagten genannten Gesundheitsstörungen, insbesondere an seit 1992 zunehmenden Beschwerden im Rückenbereich mit erheblicher Schmerzhaftigkeit.
Das Sozialgericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Der Orthopäde Dr. N. hat ein LWS-Syndrom ohne neurologische Defizite und ein HWS-Syndrom mit Nackenschmerzen diagnostiziert (Befundbericht vom 27. August 2013) und die Aktivion Praxisgemeinschaft Dr. L. pp. ein chronisches Schmerzsyndrom, Depressionen und eine Schmerzverarbeitungsstörung. Aus dem beigezogenen Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit vom 10. Dezember 2012 ergibt sich ein aufgehobenes Leistungsvermögen.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. am 20. März 2017 nach Untersuchung der Klägerin ein Sachverständigengutachten erstellt. Hierbei ist auch eine körperliche Untersuchung - unter anderem der gesamten Wirbelsäule - durchgeführt worden. Die Sachverständige hat ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom und einen beidseitigen Tinnitus festgestellt sowie eine Intelligenzschwäche. Die Klägerin sei damit in der Lage, vollschichtig körperlich leichte und mittelschwere Tätigkeiten im Gehen, Stehen, Sitzen und in wechselnder Körperhaltung, nicht aber an laufenden Maschinen oder unter Verletzungsgefahr ohne Schichtarbeit oder Nacharbeit auszuüben. Aufgrund des Intelligenzniveaus der Klägerin im Sinne einer Borderline-Intelligenz- bzw.- Lernbehinderung kämen außerdem nur Tätigkeiten mit einfacher geistiger Beanspruchung und mit geringer Verantwortung in Frage. Die Sachverständige hat dargelegt, dass das Schlaf-Apnoe-Syndrom das pulmologisch-internistische und das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet betreffe. Die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sei hierdurch jedoch nicht maßgeblich beeinträchtigt. So hätten sich auch in der Untersuchungssituation keine Auffälligkeiten gezeigt...