Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme bzw Aufhebung rechtswidriger Bewilligungsbescheide für die Vergangenheit. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Einnahmen durch Betrug des Ehegatten. Nichtvorliegen eines ernsthaften Willens zur Rückzahlung des Darlehens. bereite Mittel
Leitsatz (amtlich)
1. Abgrenzung von § 45 und § 48 SGB X nach dem letzten Änderungsbescheid, der die Bewilligungsentscheidung neu regelt (ständige Rechtsprechung des Senats seit Urteil des LSG Hamburg vom 23.6.2016 - L 4 AS 575/15).
2. Eine betrügerisch erlangte Geldsumme ist zu berücksichtigendes Einkommen (vgl LSG Chemnitz 8.11.2018 - L 7 AS 1086/14).
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate Januar bis Mai und Juli bis Dezember 2011 sowie die Rückforderung gewährter Leistungen in Höhe von insgesamt noch 4.331,02 Euro.
Der 1959 geborene, erwerbsfähige Kläger bezog in Bedarfsgemeinschaft mit seiner 1968 geborenen Ehefrau Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Dieser bewilligte der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 7. Dezember 2010 Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2011 in Höhe von 1228,71 Euro monatlich, davon 614,35 Euro für den Kläger. Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2011 nur noch monatlich 828,71 Euro, wovon 414,35 Euro auf den Kläger entfielen. Dabei berücksichtigte er die Anhebung der Regelleistungen sowie Erwerbseinkommen des Klägers aus dessen Beschäftigung bei der Firma F.. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 21. Juni 2011 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. April 2011 monatlich 841,- Euro, davon 420,50 Euro für den Kläger. Für die Monate Mai und Juni 2011 bewilligte er 850,- Euro, davon 425,- Euro für den Kläger.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2011 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II auch für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011 in Höhe von monatlich 850,- Euro, davon 425,- Euro für den Kläger. Mit Änderungsbescheid vom 19. Dezember 2011 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung ab und bewilligte für den Monat November 2011 864,50 Euro, davon 432,25 Euro für den Kläger. Für die übrigen Monate des Bewilligungsabschnitts wurden wie zuvor 850,- Euro (425,- Euro für den Kläger) monatlich bewilligt.
Ab Januar 2011 erhielt die Ehefrau des Klägers diverse Zahlungen von Frau B.. Dies war Gegenstand eines Strafverfahrens gegen die Ehefrau des Klägers, die letztlich mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 13. März 2013 (941 Ds 3204 Js 305/12 (320/12)) wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. In dem Urteil wurde Folgendes festgestellt:
“Im Januar 2011 urlaubten die Eheleute M. in A.. Gemeinsam machten die Eheleute dann Bekanntschaft mit der Zeugin B., welche mit ihrem Lebenspartner ebenfalls urlaubsbedingt in A. war. Es entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. Die - tatsächlich - gut situierte Zeugin B. vertraute der Angeklagten [der Ehefrau des Klägers]. [...]
Die Angeklagte entschloss sich im Januar, das Vertrauen der Zeugin auszunutzen, um sich finanziell zu bereichern. [...]
Die Angeklagte spiegelte der Zeugin B. in der Folgezeit persönliche Notlagen vor, die mit Geld gelöst werden könnten und sollten. Sie bat um Geld und täuschte eine Rückzahlungsabsicht vor. Sie hatte indes niemals vor, das erhaltene Geld zurückzuzahlen. Im weiteren Verlauf der Beziehung täuschte sie dann - zur Bekräftigung der Rückzahlungsabsicht - vor, dass sie grundsätzlich über Vermögen verfüge, dieses jedoch nicht frei sei. Die Notlagen bzw. das Vortäuschen von Vermögen diente allein dazu, die Zeugin B. um Geld anzuhalten. Die Zeugin B. glaubte der Angeklagten und zahlte bis Ende 2011 in Einzelbeträgen Geld (Schweizer Franken), zumal sich die Angeklagte in zwei sog. Darlehensverträgen (März 2011/Januar 2012) schriftlich zur Rückzahlung der Geldsummen verpflichtete, obwohl dies an ihrer ursprünglichen Absicht - das Geld nicht zurück zu bezahlen - nichts änderte. Ihre wirtschaftliche Situation ließ dies unverändert nicht zu. In einem ersten Schritt täuschte sie - noch in A. - Beziehungsstress vor. Ihr Ehemann habe ihr jeglichen Zugang zu Geld verweigert, sie wisse nicht, wie sie nach Hause kommen solle. Die Zeugin B. glaubte dies und übergab ihr zur Überbrückung der Situation 700 Schweizer Franken in bar. Dies war gedacht für den Rest der Ferien und die Heimreise.
Nach ihrer Rückkehr [nach] H. spiegelte die Angeklagte der Zeugin wahrheitswidrig vor, dass sie sich von ihrem Ehemann trennen wollte, auf Wohnungssuche sei und trennungsbedingt weiter Geld benötige...