Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfebedürftigkeit. Verwertbare Vermögensgegestände. Miteigentum an einem Hausgrundstück. Zwangsvollstreckungsverfahren. Hausgrundstück von unangemessener Größe. unwirtschaftliche Verwertung. Härtefallregelung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Bewertung der Hilfebedürftigkeit im Rahmen der Grundsicherungsleistungen sind nach § 12 SGB II als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
2. Dazu gehört auch Miteigentum an einem Hausgrundstück als selbstständiges dingliches Recht. Dieses ist verwertbar, wenn innerhalb des sechsmonatigen Bewilligungszeitraums eine Veräußerung oder Belastung möglich ist.
3. Ein Verwertungshindernis im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II besteht nicht, wenn der Betroffene zuvor nicht die Auseinandersetzung, also die Verwertung des Miteigentums, von den anderen Miteigentümern gefordert hat.
4. Der Verwertung steht nicht entgegen, wenn das Hausgrundstück aufgrund eines Zwangsvollstreckungsverfahrens beschlagnahmt worden ist. Nach § 23 ZVG besteht ein Veräußerungsverbot bei Beschlagnahme, jedoch kann mit Einwilligung des betreibenden Gläubigers eine Veräußerung stattfinden. Dies muss zumindest versucht worden sein.
5. Ein Vermögensschutz nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II besteht bei Hausgrundstücken von unangemessener Größe nicht. Die Angemessenheit muss im Einzelfall bestimmt werden. Dabei ist auf die gesamte Wohnfläche abzustellen und nicht nur auf den von dem Eigentümer selbst bewohnten Anteil.
6. Eine offensichtlich unwirtschaftliche Verwertung nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 1 liegt nicht vor, wenn die Immobilie nicht über den Marktwert belastet ist.
7. Einer Verwertung des Miteigentumsanteils steht die Härtefallregelung nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II nicht entgegen, da die Vermögensverwertung nur eine einfache Härte darstellt.
Normenkette
SGB II §§ 11-12, 41 Abs. 1 S. 4, § 9 Abs. 4, § 24 Abs. 5 S. 1 Fassung: 2011-04-01; ZVG § 23; BGB § 135 Abs. 1, § 185 Abs. 1, § 2042
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. März 2021 aufgehoben, soweit Leistungen für den Zeitraum ab dem 11. August 2015 zugesprochen werden. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Feststellungsklage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt noch die Gewährung der für die Zeit zwischen dem 1. Mai 2015 und dem 10. August 2015 vom Beklagten als Darlehen bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sowie der darüber hinaus durch das angefochtene Urteil für diesen Zeitraum zugesprochenen weiteren Leistungen nach dem SGB II für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung als Zuschuss statt als Darlehen. Zudem begehrt er höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung im Monat Oktober 2015. Darüber hinaus beantragt der Kläger die Feststellung, dass er in der Zeit vom 1. Mai 2015 bis 31. Oktober 2015 hilfebedürftig war. Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die dem Kläger vom Sozialgericht zuschussweise zugesprochenen Leistungen für den Zeitraum 11. August 2015 bis 31. Oktober 2015.
Der am xxxxx 1962 geborene Kläger bezieht seit Februar 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Zuvor war er selbständig und als Geschäftsführer mehrerer inzwischen wegen Insolvenz gelöschter Gesellschaften tätig. An den Gesellschaften war neben dem Kläger u.a. Herr E.K. beteiligt.
Der Kläger ist zu ¼ Miteigentümer eines 1.373 m² großen Grundstücks in der S.-Straße in H., das mit einem Wohnhaus mit Haupt- und Einliegerwohnung bebaut ist. Weitere Eigentümer waren zunächst zu ½ die Tante des Klägers, G.R., und zu ¼ die Schwester des Klägers, K.R.. Am 25. August 2016 verstarb G.R.. Erbin ihres Miteigentumsanteils ist K.R.. Das Grundstück ist mit einer 2004 eingetragenen Grundschuld von 400.000 Euro, jährlich mit 18 % zu verzinsen, belastet; Inhaberin der Grundschuld war zunächst die C.. Der Kläger hatte im Jahr 2004 einen Kredit von der C. Bank AG über 250.000 Euro erhalten, der mit 6,04 % pro Jahr zu verzinsen und mit der 2004 eingetragenen Grundschuld gesichert war. Im Jahr 2007 konnte der Kläger den Kredit nicht mehr bedienen und die Zwangsversteigerung des Grundstücks wurde durch die Bank angekündigt. Herr K. gewährte dann dem Kläger am 29. Oktober 2007 ein Privatdarlehen über den offenen Kreditbetrag bei der Bank über 271.972,73 Euro, zu verzinsen mit 6,04 % pro Jahr. Zugleich wurde die Grundschuld an Herrn K. abgetreten. Tilgungszahlungen sollten zunächst nicht erfolgen. Der Kläger und Herr K. vereinbarten, dass ein monatlicher Zinsbetrag von 1.370 Euro gezahlt werden sollte. Die Zinsen auf das Darlehen wurden durch den Kläger nur teilweise und seit 2010 nicht mehr geleistet. Aus den Jahren 2008 und 2009 entstand jeweils ein Rückstand i...