Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahl zur Vertreterversammlung einer Kassenärztlichen Vereinigung. Wahlanfechtungsklage. Anfechtungsgegenstand. Regelung des § 80 Abs 1 S 3 SGB 5 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Wahlrechtssystem

 

Orientierungssatz

1. Anfechtungsgegenstand der Wahlanfechtungsklage ist allein die Wahl selbst (vgl BSG vom 16.12.2003 - B 1 KR 26/02 R = BSGE 92, 59 = SozR 4-2400 § 48 Nr 1).

2. Die Regelung des § 80 Abs 1 S3 SGB 5 idF vom 14.11.2003 iVm satzungsrechtlichen Bestimmungen verstößt nicht insoweit gegen höherrangiges Recht (Grundsatz der Wahlgleichheit (Erfolgswertgleichheit der Stimme); Demokratieprinzip), indem die ärztlichen Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung nur ärztliche Mitglieder der Vertreterversammlung und die psychotherapeutischen Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung nur psychotherapeutische Mitglieder der Vertreterversammlung wählen können und die Psychotherapeuten nur ein Zehntel der Mitglieder der Vertreterversammlung stellen dürfen.

3. Eine Bindung an das im Bundeswahlgesetz durch den einfachen Gesetzgeber geregelte personalisierte Verhältniswahlrecht gibt es nicht. Der Gesetzgeber ist frei, auch andere Wahlrechtssysteme (Mehrheitswahlrecht, Mischsysteme) einzuführen. Hat er in § 80 Abs 1 SGB 5 sich verbindlich auf das Verhältniswahlrecht festgelegt, so bildet sich mit dem System des Verhältniswahlrechts zwar der Grundsatz der Verhältnistreue ab, wonach die Zusammensetzung einer Vertretungskörperschaft in seiner Repräsentanz verhältnistreu sein soll, dh proportional zu den Anteilen der verschiedenen Listen am Wahlergebnis. Gleichwohl braucht dieser Grundsatz auf die Zusammensetzung der Vertreterversammlung einer Selbstverwaltungskörperschaft nicht uneingeschränkt Anwendung zu finden.

 

Tenor

1.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

2.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit der Wahl zur Vertreterversammlung der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) vom 22. Juni 2004.

Aufgrund des Art. 1 Nr. 58 Buchst. a) iVm Art. 37 Abs. 8 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz-GMG-) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190, 2203, 2257) trat am 1. Januar 2005 folgende Fassung des § 80 Abs. 1 SGB V in Kraft:

§ 80

(1)

Die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen wählen in unmittelbarer und geheimer Wahl die Mitglieder der Vertreterversammlung. Die Wahlen erfolgen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl auf Grund von Listen und Einzelwahlvorschlägen. Die Psychotherapeuten wählen ihre Mitglieder der Vertreterversammlung entsprechend den Sätzen 1 und 2 mit der Maßgabe, dass sie höchstens mit einem Zehntel der Mitglieder in der Vertreterversammlung vertreten sind. Das Nähere zur Wahl der Mitglieder der Vertreterversammlung, einschließlich des Anteils der übrigen Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen, bestimmt die Satzung.

Durch Art. 35 GMG wurde zudem ein "Gesetz zu Übergangsregelungen zur Neuorganisation der vertragsärztlichen Selbstverwaltung und Organisation der Krankenkassen" (KKÜNOG) erlassen, das (mit Ausnahme von § 7, der gemäß Art. 37 Abs. 1 GMG am 9. September 2003 in Kraft trat) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft trat (Art. 37 Abs. 1 GMG). Art. 35 § 2 Abs. 1 GMG lautet:

§ 2

 Wahl der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigungen

(1)

Die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen wählen bis zum 30. September 2004 aus ihrer Mitte die Mitglieder der Vertreterversammlung nach § 79 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung. Hierbei sind § 79 Abs. 2 und § 80 Abs. 1 und 1a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung anzuwenden.

Die Beklagte setzte § 80 Abs. 1 Satz 4 SGB V und Art. 35 § 2 GMG durch eine Änderung ihrer die Wahlordnung für die Wahl der Vertreterversammlung enthaltenden Satzung vom 12. Oktober 1967 - 20. Nachtrag vom 15. Januar 2004 - um (vgl. hierzu Hamburger Ärzteblatt ≪HÄB≫ 2004, S. 63 ff; 422 ff), die u. a. hinsichtlich der Änderung zu § 68 der Satzung am Tage nach der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde in Kraft trat. Soweit im 20. Nachtrag statt des gesetzlich vorgesehenen Begriffs "Vertreterversammlung" der Begriff "Aufsichtsrat" verwendet worden war, genehmigte die Aufsichtsbehörde den 20. Nachtrag am 8. Juni 2004 nur mit der Änderung, dass der Begriff "Aufsichtsrat" jeweils durch den Begriff "Vertreterversammlung" ersetzt wurde (vgl. HÄB 2004, S. 429). Diese Ersetzung beschloss die Vertreterversammlung am 24. Juni 2004. Die Aufsichtsbehörde genehmigte diese Änderung am 30. Juli 2004 (vgl. HÄB 2004, S. 422, 429).

§ 68 der Satzung lautet:

(1)

Die ärztlichen Mitglieder der KVH insgesamt wählen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl auf Grund von Listen- oder Einzelwahlvorschlägen aus ihrer Mitte siebenundzwanzig ärztliche Mitglieder der Vertreterversammlung.

(2)

Die psychotherapeutischen Mitglied...

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