Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer versäumten Verfahrensvorschrift
Orientierungssatz
1. Mit der Zustellung des Urteils an den Bevollmächtigten des Verfahrensbeteiligten wird der Lauf der Berufungsfrist auch gegenüber dem Verfahrensbeteiligten selbst in Gang gesetzt, § 73 Abs. 6 S. 6 SGG.
2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer versäumten Frist nach § 67 Abs. 2 S. 1 SGG hat der Betroffene glaubhaft zu machen, dass er ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war.
3. Hierbei gilt zwar die Untersuchungsmaxime, jedoch braucht das Gericht nicht alle denkbaren Möglichkeiten auszuforschen. Es hat die nach Aktenlage und Beteiligtenvorbringen naheliegenden Ermittlungen anzustellen.
4. Ein Rechtsanwalt darf das unterzeichnete Empfangsbekenntnis erst zurückgeben, wenn der Zustellungszeitpunkt in den Handakten vermerkt ist. Eine vom Anwalt selbst nach Absendung des Empfangsbekenntnisses nachgeholte Fristenberechnung ist nicht unverschuldet i. S. des § 67 Abs. 1 SGG.
Tenor
1. Die Berufung wird als unzulässig verworfen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg).
Der am xxxxx 1978 geborene Kläger meldete sich am 15. Oktober 2013 arbeitslos und beantragte Alg, wobei er angab, einer Nebentätigkeit als selbstständiger Webdesigner nachzugehen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte er mit, er übe die Nebentätigkeit in einem Umfang von 15 Stunden in der Woche aus. Die Beklagte lehnte den Alg-Antrag daraufhin mit Bescheid vom 5. März 2014 mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht arbeitslos, da er 15 Stunden in der Woche arbeite.
Der Kläger meldete sich daraufhin am 7. März 2014 erneut arbeitslos und beantragte Alg, wobei er wiederum die genannte Nebentätigkeit angab, jedoch keine Angaben zur wöchentlichen Stundenzahl machte. Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 12. März 2014 ab: Aufgrund der früheren Angaben sei davon auszugehen, dass sich der zeitliche Umfang der Nebentätigkeit nicht verändert habe. Seinen am 14. März 2014 erhobenen Widerspruch, dem eine Reihe von Rechnungen und Kontoauszügen beigefügt waren, begründete er damit, die geschätzte Arbeitszeit entspreche nicht den Tatsachen. Er habe erfolglos Akquise betrieben und kleinere Aufträge erledigt. Die Akquise habe täglich anderthalb bis zwei Stunden am Tag in Anspruch genommen, die Arbeitsaufträge seien zumeist innerhalb weniger Stunden erledigt gewesen. Durchschnittlich komme er auf eine Arbeitszeit von etwa zehn Stunden in der Woche. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2014 zurück: Der Kläger habe keine Nachweise zum tatsächlichen Arbeitsumfang erbracht, sondern lediglich eine geringere durchschnittliche Stundenzahl genannt.
Hiergegen hat der Kläger am 5. Mai 2014 Klage erhoben. Beide Beteiligten haben im Klageverfahren ihre jeweilige Rechtsauffassung wiederholt und vertieft. Mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Angesichts der widersprüchlichen Angaben des Klägers hätte es diesem oblegen, die zeitliche Lage und den zeitlichen Umfang der von ihm verrichteten Tätigkeit zu substantiieren. Mängel der Sachaufklärungen seien der Beklagten nicht anzulasten und auch das Sozialgericht habe sich nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt gesehen.
Der Gerichtsbescheid wurde von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts am 19. Dezember 2016 zur Post gegeben. Das am 24. Dezember 2016 bei der Gemeinsamen Annahmestelle eingegangene Empfangsbekenntnis trägt zwei Stempel der Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten, die als Datum des Erhalts den 20. Dezember 2016 nennen, wobei die Ziffer "0" einen annähernd horizontal verlaufenden Strich im oberen Drittel aufweist.
Am 27. Januar 2017 hat der Kläger Berufung eingelegt und dabei ausgeführt, der Gerichtsbescheid sei seinem Prozessbevollmächtigten am 28. Dezember 2016 zugestellt worden. In der Sache habe das Sozialgericht seine Entscheidung in sich widersprüchlich begründet und auch zu strenge Maßstäbe angelegt.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 15. Februar 2017 darauf hingewiesen worden ist, dass die Berufung gegen den am 20. Dezember 2016 zugestellten Gerichtsbescheid erst am 27. Januar 2017 eingegangen ist, hat er mit Schriftsatz vom 22. März 2017 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt: Beim Abstempeln des Gerichtsbescheides und auch des Empfangsbekenntnisses sei - offenbar aufgrund eines falsch eingestellten Stempels - die Ziffer "0" der Datumsangabe 20. Dezember 2016 mit einem Mittelstrich aufgestempelt worden. Daher sei diese Ziffer versehentlich für die Ziffer "8" gehalten worden. Das Abstempeln werde üblicherweise von der Mitarbeiterin Frau P. vorgenommen, die auch am 20. Dezember 2016 tätig gewesen sei. Die Eintragung in den Fristenkalender werde von Frau P. und dem sachbear...