Orientierungssatz
Das Merkzeichen Gl für Gehörlose gemäß § 3 Abs 1 Nr 3 SchwbAwV soll hörbehinderten Menschen zuerkannt werden, bei denen Taubheit beiderseits vorliegt, sowie hörbehinderten Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, wenn daneben schwere Sprachstörungen (schwer verständliche Lautsprache, geringer Sprachschatz) gegeben sind.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin einer Gehörlosen gleichzustellen ist.
Die im Jahre 1957 geborene Klägerin stellte erstmals im Jahre 1977 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). In der Folgezeit waren, auch auf Verschlimmerungsanträge der Klägerin hin, verschiedene Bescheide der Beklagten ergangen. Mit Bescheid vom 16. Mai 1995 hatte die Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin auf 70 festgestellt und ihr das Merkzeichen "RF" zuerkannt. Dabei wurden folgende Behinderungen festgestellt: an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits, subjektive Ohrgeräusche; Sehbehinderung; degeneratives Wirbelsäulenleiden; psychische Minderbelastbarkeit.
Am 8. Juni 1995 beantragte die Klägerin abermals Feststellungen nach Schwerbehindertenrecht. Daraufhin erließ die Beklagte am 23. Juli 1997 einen Neufeststellungsbescheid nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) i.V.m. § 4 SchwbG. Über die bisher festgestellten Behinderungen hinaus wurde eine Schilddrüsenvergrößerung mit Überfunktion anerkannt und der GdB auf 80 festgesetzt. Das Merkzeichen "RF" wurde der Klägerin weiterhin zuerkannt. Die Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G", "aG" und "H" lehnte die Beklagte indes ab. Die Klägerin erhob Widerspruch mit dem Ziel der Gleichstellung mit einer Gehörlosen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück: Die Gleichstellung mit einer Gehörlosen sei nicht möglich. Gehörlos seien Hörbehinderte, bei denen Taubheit beiderseits vorliege, sowie Hörbehinderte mit einer angeborenen oder später erworbenen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, wenn daneben schwere Sprachstörungen (schwer verständliche Lautsprache, geringer Sprachschatz) gegeben seien. Diese Bedingungen seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt.
Am 2. April 1998 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben, mit der sie ihr Ziel der Gleichstellung mit einer Gehörlosen weiter verfolgt hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, Schwerhörigkeit sei bei ihr bereits nach der Geburt aufgetreten; eine "Hörwelt" habe für sie seit Geburt nicht bestanden. Die Kommunikation mit Hörenden sei äußerst beeinträchtigt, da diese sich nicht auf ihre ungewöhnliche und leise Aussprache einstellen könnten. Beim Ablesen vom Mund passiere es darüber hinaus immer wieder, dass ihr die Bedeutung eines Wortes nicht bekannt sei und sie Sätze dadurch inhaltlich nicht verstehe. Wegen der Hörschädigung habe sie nur einen begrenzten Wortschatz.
Im Jahre 1991 wurde mit Inkrafttreten des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs – (jetzt:) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) das Merkzeichen "Gl" eingeführt.
Im September 2002 wandte sich die Klägerin an das Versorgungsamt der Beklagten und gab an, sie strebe zusätzlich zu dem Merkzeichen "Gl" auch die Merkzeichen "RF", "H" und "G" an. Dieses Schreiben hat die Beklagte in Kopie zu den Gerichtsakten gereicht.
Das Sozialgericht hat die Klage so verstanden, dass es der Klägerin darum gehe, die Merkzeichen "Gl", "G" und "H" zuerkannt zu bekommen. Es hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten des Oberarztes der HNO-Klinik des Allgemeinen Krankenhauses B G vom 19. März 2000 und der Fachärztin für HNO-Heilkunde (Phoniatrie und Pädaudiologie) Dr. R vom 4. Juli 2002.
Mit Urteil vom 12. August 2003 hat das Sozialgericht die Klage im schriftlichen Verfahren abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es, die Beklagte habe zu Recht die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "Gl" und der weiteren Merkzeichen abgelehnt. Die vom Gericht eingeschalteten medizinischen Sachverständigen hätten beide aufgrund eigener Untersuchung dargelegt, dass eine verbale Kommunikation mit der Klägerin möglich sei. Anhaltspunkte dafür, dass der Sprachschatz der Klägerin beschränkt sei, habe das Gericht ebenfalls nicht erkennen können. Die Klägerin sei auch nicht erheblich gehbehindert oder hilflos.
Das Urteil ist dem (früheren) Bevollmächtigten der Klägerin am 4. September 2003 zugestellt worden. Am 25. September 2003 hat die Klägerin schriftlich Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass neben der Minderung der Hörfähigkeit bis zu 90 % bei ihr ein weiteres Merkmal, nämlich dasjenige der schwer verständlichen Lautsprache und des geringen Sprachschatzes (schwere Sprachstörung) vorhanden sei und sie daher den Gehörlosen gleichgestellt werden müsse. Es sei zwar richtig, dass sie einem Einzelgespräch gerade noch folgen könne, dies jedoch nur ...