Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzung eines Gefahrentarifs. Zusammenfassung mehrerer Gewerbezweige. Unfallversicherungsträger. Veranlagungsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Den Unfallversicherungsträgern ist bei der Festsetzung eines Gefahrtarifs und der Bildung von Gefahrklassen ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung autonomes Recht setzen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft.
2. Nach § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ist der Gefahrtarif nach Tarifstellen zu gliedern. Tarifstellen werden nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet. Die Wahl der Tarifstellen nach Anzahl und Inhalt steht im Ermessen der Vertreterversammlung des jeweiligen Unfallversicherungsträgers
Normenkette
SGB VII § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 157 Abs. 2 S. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 9, § 4 Abs. 3
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.200 EUR festgesetzt.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die gefahrtarifliche Einordnung der Tätigkeit des Klägers als Lerntherapeut.
Der 1973 geborene Kläger ist selbstständiger Lerntherapeut und wurde von der Beklagten mit Wirkung zum 1. September 2009 als solcher in die Gefahrtarifstelle 6 (Gefahrklasse 3,3) zum 3. Gefahrtarif aufgrund einer gesetzlichen Unternehmerpflichtversicherung veranlagt.
Mit Bescheid vom 15. November 2012 veranlagte die Beklagte das Unternehmen des Klägers für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2018 nach dem 4. Gefahrtarif zur Gefahrtarifstelle 6 mit einer Gefahrklasse von 3,74. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 veranlagte die Beklagte das Unternehmen des Klägers vom 1. Januar 2019 bis 31.Dezember 2024 zur Gefahrtarifstelle 7 des 5. Gefahrtarifs der Beklagten mit einer Gefahrklasse 4,38.
Die Gefahrtarifstelle 7 in dem am 14. Juni 2018 von der Vertreterversammlung der Beklagten beschlossenen und am 18. Juli von dem Bundesversicherungsamt genehmigten 5. Gefahrtarif lautet:
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7 |
Praxen und Unternehmen der Physiotherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie, Massage/medizinische Bäder, Heilkunde nach dem Heilpraktikergesetz, Podologie, Fußpflege, Lerntherapie, Reittherapie, Musiktherapie und Beschäftigungstherapie und sonstige Therapieformen soweit nicht in einer anderen Tarifstelle genannt; Freiberuflich ausgeübte Hilfsberufe der ärztlichen Versorgung und der medizinisch-technischen Assistenz, nicht Pflegebegutachtung; Fachgebiete im Gesundheitswesen, soweit nicht in der Tarifstelle1,2,4,6 oder 15 aufgeführt; Sauna- und Badebetriebe, Hallen- und Freibäder; Kosmetikbetriebe, Kosmetikfachschulen, Solarien, Sonnenstudios, Unternehmen der Thanatologie, Thanatopraxis, Tätowier- und Piercingstudios. |
4,38 |
Mit Schreiben vom 29. November 2018 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein, da sein Unternehmen falsch zugeordnet worden sei, denn tatsächlich bestehe ein geringeres Unfallrisiko. Seine Tätigkeit sei vergleichbar mit der von Praxen für Psychologie und Psychotherapie oder auch von heilpädagogischen Praxen, entsprechend den Gefahrtarifstellen 2 bzw. 6 des 5. Gefahrtarifs. Es bestehe kein sachlicher Zusammenhang zwischen Lerntherapie und den dort aufgeführten weiteren Tätigkeiten wie Reittherapie, Musiktherapie, Kunsttherapie oder Beschäftigungstherapie. Entscheidend für die Zuordnung sei, welche Arbeitsbedingungen und Unfalllasten sich bei der konkreten versicherten Tätigkeit ergäben. Auch müssten sich die gewerbetypischen Unfallgefahren, das tatsächliche Risiko, in den betroffenen Unternehmen zutreffend widerspiegeln. Eine Zuordnung zu einem Gewerbezweig, ohne Berücksichtigung technologischer Zusammenhänge allein nach der Größe des Unfallrisikos, scheide nach der Rechtsprechung aus. Im Ergebnis sei die Zuordnung seines Unternehmens zur Gefahrtarifstelle 7 fehlerhaft und müsse in Gefahrtarifstelle 2 oder 6 geändert werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2019 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte zusammengefasst aus, der Kläger betreibe seit dem 1. September 2009 ein Unternehmen der Lerntherapie, ohne versicherungspflichtiges Personal zu beschäftigen. Das Unternehmen und die persönliche Versicherung des Klägers seien zutreffend in die Gefahrtarifstelle 7 des 5. Gefahrtarifs ab 1. Januar 2019 veranlagt worden. Die Unfallversicherungsträger setzten als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest, in welchem zur Abstufung der Beiträge Gefahrenklassen festzustellen seien (§ 157 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VII≫). Die Beklagte setze diese Vorschrift als gewerbezweigorientierten Neulast-Tarif um. Für die Risikogemeinschaft von selbstständig tätigen Lerntherapeuten könne unter den Gesichtspunkten eines Gefahrtarifes kein eigen...