Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Gehörlosen auf Erstattung der Kosten eines Gebärdendolmetschers durch den Sozialversicherungsträger
Orientierungssatz
1. Dolmetscherkosten gehören bei einem Gehörlosen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB 12.
2. Sie werden vom Sozialhilfeträger nur dann übernommen, wenn sie aus besonderem Anlass erforderlich sind.
3. Sind alle Teilnehmer eines Klassentreffens gehörlos, so sind sie auch ohne Einsatz eines Gebärdendolmetschers in der Lage, sich zu verständigen. Damit ist ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger ausgeschlossen.
4. Im Übrigen ist Voraussetzung einer Kostenerstattung die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers gemäß § 19 Abs. 3 SGB 12. Fällt bei mehreren Personen ein Bedarf an, der gemeinschaftlich gedeckt wird, so sind die hierfür entstehenden Aufwendungen nach Kopfteilen aufzuteilen.
5. Bach § 88 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB 12 kann die Aufbringung der Mittel (hier: 26.- €.) vom Hilfebedürftigen auch dann verlangt werden, wenn dessen Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze liegt, soweit der Bedarf als geringfügig anzusehen ist.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Mai 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsantrags nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Freistellung von den Kosten für den Einsatz zweier Gebärdensprachdolmetscherinnen anlässlich eines Klassentreffens am 27. Mai 2010 in Höhe von insgesamt 872,27 Euro.
Der 1943 geborene Kläger ist gehörlos. Von 1951 bis 1961 besuchte er eine Gehörlosenschule in O.. Bis 2003 arbeitete er als Schreiner, seitdem ist er Rentner und bezieht eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Mai 2010 betrug der Rentenbetrag netto 1.064,39 Euro. Der Kläger lebte damals zusammen mit seiner Ehefrau und seiner 1991 geborenen Tochter. Die Ehefrau und die Tochter bezogen als Bedarfsgemeinschaft ab Mai 2010 ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 320,68 Euro (Ehefrau) und 216,35 Euro (Tochter) monatlich (Bescheid vom 24.3.2010 für den Zeitraum vom 1.5.2010 bis zum 31.10.2010).
Der Kläger hatte im Jahr 2004 bei der neue leben Versicherungen eine auf seinen Namen lautende fondsgebundene Lebensversicherung als Rentenversicherung mit Rentenzahlung ab 1. Dezember 2016 in Höhe von 75,93 Euro monatlich abgeschlossen. Nach Auskunft der Versicherungsgesellschaft betrug zum 30. April 2010 der Rückkaufswert 11.235,28 Euro. Rentenversicherungen gleicher Art wurden ebenfalls 2004 auch zugunsten der Ehefrau und der Tochter des Klägers abgeschlossen (monatlicher Rentenbetrag aus dem Vertrag der Ehefrau: 50,90 Euro, Rückkaufswert zum Ende des 6. Versicherungsjahres 5.885,- Euro). Diese Versicherungen erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine zusätzliche Altersvorsorge im Sinne von § 10a oder des Abschnittes XI des Einkommenssteuergesetzes.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2010 beantragte der Kläger die "Kostenübernahme für den Dolmetschereinsatz in Deutsch und deutscher Gebärdensprache für meine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben - Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben“ nach § 57 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (a.F.). In dem Schreiben heißt es: "Ich möchte einen Ausflug mit Führungen organisieren. Alle Gruppenmitglieder sind gehörlos und benötigen daher den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen. Ich bitte um eine zeitnahe Prüfung innerhalb von 2 Wochen nach SGB IX, § 14.“
Beigefügt war die Kopie eines Einladungsschreibens an ehemalige Mitschüler/innen des Klägers, in diesem heißt es: "Willkommen in der H. - Programm Info zum 12. Klassentreffen ehemaliger Schüler/innen von 1951-1960/61 in O. am Donnerstag, den 27. Mai 2010.“ Zum Programm wird ausgeführt: Hafenrundfahrt (Kosten pro Person 10-12 Euro), gemeinsames Mittagessen, Besuch des Michels und der Krameramtsstuben. „Wir wollen uns ca. 10:00 - 10:15 Uhr am Hauptbahnhof treffen“(...) „So gegen 19:00 bis 20:00 Uhr wird unser Tag in H. zu Ende gehen. Anmeldungen zum Klassentreffen an S.L..“ Beigefügt war ferner ein Kostenplan „nach JVEG Stufe 2“ über den Einsatz von zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen für 9 Stunden (Einsatzzeit 11:00 - 18:00) bzw. 4 Stunden (Einsatzzeit 11:00 bis 13:00 Uhr), insgesamt 872,27 Euro (inkl. MwSt).
Am 27. Mai 2010 fand das Klassentreffen mit Stadtführung und Hafenrundfahrt wie geplant statt. Nach Angaben des Klägers nahmen daran 33 gehörlose Personen teil. Den ungefähren zeitlichen Ablauf hat der Kläger aus seiner Erinnerung wie folgt angegeben:
10 Uhr Treffen am Hauptbahnhof, Weiterfahrt zu den Landungsbrücken
11:20 - 13:30 Hafenrundfahrt
13:30 - 15:00 Spaziergang, gemeinsames Mittagessen
15:00 - 17:00 Besichtigung Krameramtsstuben und Umgebung, gemeinsames Kaffeetrinken
17:00 - 18:00 B...