Entscheidungsstichwort (Thema)

Fiktion der Berufungsrücknahme. fehlende Berufungsbegründung. entsprechende Anwendung von § 102 Abs 2 SGG im Berufungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Der Senat folgt nicht der Auffassung, dass § 102 Abs 2 SGG ausschließlich für das Klageverfahren gelte, weil das SGG keine dem § 126 Abs 2 VwGO entsprechende Fiktion der Berufungsrücknahme enthalte und es in der VwGO trotz der in § 126 Abs 2 VwGO getroffenen Sonderregelung auch eine dem § 153 Abs 1 SGG entsprechende Vorschrift, nämlich § 125 Abs 1 VwGO gebe.

2. Ein der entsprechenden Anwendung von § 102 Abs 2 SGG im Berufungsverfahren entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ist nicht festzustellen. Es liegt vielmehr eine unplanmäßige Lücke vor, die durch entsprechende Anwendung des § 102 Abs 2 SGG auf das Berufungsverfahren zu schließen ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 01.07.2010; Aktenzeichen B 13 R 58/09 R)

 

Tenor

Das Verfahren ist durch Fiktion der Berufungsrücknahme erledigt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Vormerkungsbescheid nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI).

Mit Bescheid vom 4. November 2003 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf des Klägers für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1996 enthaltenen Zeiten verbindlich fest. Hiergegen erhob dieser mit am 21. November 2003 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben ohne weitere Begründung Widerspruch, den er auch nach Aufforderung nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Daraufhin hat der Versicherte Klage erhoben und angekündigt, eine Begründung nachreichen zu wollen, dies jedoch trotz Aufforderung des Sozialgerichts nicht getan. Auf die ihm am 29. November 2006 zugestellte Anhörung zum Erlass eines Gerichtsbescheides hat er sich dahingehend eingelassen, dass für ihn - den Kläger - der Sachverhalt nicht geklärt sei. Demgegenüber scheine für das Gericht die Entscheidung schon festzustehen.

Mit dem Kläger am 19. Juni 2007 zugestelltem Gerichtsbescheid vom 15. Juni 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei nicht begründet worden. Es sei deshalb für das Gericht nicht ersichtlich, inwieweit die Feststellung der Daten im Versicherungskonto der Rechtslage nicht entspreche. Am 27. Juni 2007 hat der Kläger zum Aktenzeichen L 1 R 115/07 Berufung eingelegt und nach Erhalt der Eingangsbestätigung die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Eine Begründung des Rechtsmittels hat er indessen auch trotz mehrfacher Aufforderung nicht gegeben. Durch Beschluss vom 11. Februar 2008 hat der erkennende Senat den auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag unter Hinweis auf das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt. Mangels einer irgendwie gearteten Begründung von Widerspruch, Klage und Berufung fehle es an greifbaren Anhaltspunkten für eine Fehlerhaftigkeit des Bescheides.

Mit dem Kläger am 21. August 2008 zugestellter gerichtlicher Verfügung ist dieser letztmalig aufgefordert worden, die Berufung zu begründen und diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühle. Gleichzeitig ist er darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nach §§ 102 Abs. 2 Satz 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gilt, wenn er das Verfahren trotz dieser Aufforderung länger als drei Monate nicht betreibe, d.h. die Berufung nicht begründe. Unter dem 16. Dezember 2008 hat das Berufungsgericht - nachdem eine Begründung der Berufung nicht erfolgt war - die Fiktion der Berufungsrücknahme im Verfahren L 1 R 115/07 festgestellt. Der Kläger hat - nachdem er hiervon Kenntnis erhalten hatte - gebeten, dem Verfahren Fortgang zu geben. Er habe seine Berufung nicht zurückgenommen. Vielmehr warte er auf einen Gerichtstermin. Offenbar sei das "Gericht zu faul", einen solchen anzuberaumen. Unter dem Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens ist daraufhin der Rechtsstreit zunächst mit Ziel, über die Fiktion der Rücknahme der Berufung zu befinden, fortgesetzt worden.

In dem fortgesetzten Berufungsverfahren trägt der Kläger vor, der ihm erteilte Versicherungsverlauf sei fehlerhaft festgestellt, und gibt im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18. März 2009 hierzu im einzelnen an, es fehle eine Angabe zum 24. November 1991. In dieser Zeit sei er aber arbeitslos gemeldet gewesen. Auch am 1. März 1992 sei dies der Fall gewesen. Gleichwohl finde sich auch für diesen Tag keine Angabe im Versicherungsverlauf.

Er beantragt,

das Verfahren L 1 R 115/07 fortzusetzen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 4. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 zu verpflichten, weitere rentenrechtliche Zeiten unter Berücksichtigung seiner nunmehr gemachten Angaben festzustellen.

Die Bek...

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