Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung des anrechenbaren Einkommens eines Selbständigen zur Entscheidung über dessen Hilfebedürftigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung setzt u. a. die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers i. S. von § 9 Abs. 1 SGB 2 voraus.

2. Auf dessen Bedarf ist das Einkommen nach Maßgabe des § 11 SGB 2 anzurechnen. Hierzu zählen u. a. gewährte Unterhaltszahlungen sowie Einkommen aus selbständiger Tätigkeit.

3. Die von einem Rechtsanwalt vereinnahmte Umsatzsteuer ist nicht von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen, wenn der Steueranspruch des Finanzamtes erst nach Ablauf des maßgeblichen Bewilligungszeitraums entstanden ist. Die Umsatzsteuer fällt nicht bereits mit ihrer Vereinnahmung durch den Unternehmer an, sondern erst mit Ablauf des Voranmeldezeitraumes, in dem die Leistungen ausgeführt worden bzw. die Entgelte vereinnahmt worden sind.

4. Die vereinnahmte Umsatzsteuer ist keine zweckbestimmte Einnahme i. S. von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB 2 a. F. . Sie ist auch nicht nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 SGB 2 a. F. vom Einkommen abzusetzen. Die Umsatzsteuer bezieht sich nicht auf die Erzielung von Einkünften; sie ist Verkehrssteuer.

5. Vom Einkommen abzusetzen sind die Freibeträge nach § 11 Abs. 2 SGB 2 a. F. .

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juni 2008 bis zum 30. November 2008 endgültig zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die 1971 geborene Klägerin ist selbständig als Rechtsanwältin tätig. Seit Januar 2007 bezieht sie laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 26. Mai 2008 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Weiterbewilligung von Leistungen für die Zeit ab dem 1. Juni 2008. Die Klägerin teilte mit, dass sie von ihren Eltern monatlich 150,- Euro Unterhalt bekomme. Mit dem Antrag reichte sie die Anlage EKS (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum) ein, in der sie angab, sie erwarte für den Zeitraum von Mai bis November 2008 aus ihrer selbständigen Tätigkeiten Einnahmen und Ausgaben in Höhe von jeweils 3.500,- Euro.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 27. Mai 2008 für den Zeitraum vom 1. Juni 2008 bis zum 30. November 2008 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für den Monat Juni 2008 wurden 586,49 Euro (197,- Euro Regelbedarf und 389,49 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung) bewilligt, für die Monate Juli bis November 2008 jeweils 590,49 Euro (201,- Euro Regelbedarf und 389,49 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung). Ausweislich des beigefügten Berechnungsbogens wurde dabei ein Einkommen aus Unterhalt in Höhe von 150,- Euro monatlich berücksichtigt; Einkommen aus Erwerbstätigkeit wurde nicht berücksichtigt. In dem Bescheid wies der Beklagte darauf hin, dass über den Anspruch auf Leistungen derzeit noch nicht abschließend entschieden werden könne.

Im Dezember 2008 reichte die Klägerin beim Beklagten diverse Unterlagen zu den Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin im Zeitraum von Juni bis November 2008 ein. Darunter war eine Einnahmen-/Überschussrechnung, aus der sich für den genannten Zeitraum ein Überschuss von 1.022,37 Euro ergab. Dem lagen folgende Einnahmen und Ausgaben zugrunde:

Einnahmen: 6.160,09 Euro Umsatzerlöse 1.119,22 Euro vereinnahmte Umsatzsteuer 7.279,31 Euro Gesamteinnahmen

Ausgaben: 2.306,34 Euro Raumaufwand 220,64 Euro Aufwendungen für Telefon und Porto 684,33 Euro Reise- und Bewirtungskosten 1.075,95 Euro Aufwendungen für Versicherungen sowie Beiträge 1.600,02 Euro sonstige betriebliche Aufwendungen 369,66 Euro verauslagte Vorsteuern 6.256,94 Euro Gesamtausgaben

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2008 teilte der Beklagte der Klägerin mit, nach seinen Erkenntnissen habe sie für die Zeit vom 1. Juni 2008 bis zum 30. November 2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 337,92 Euro zu Unrecht bezogen. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei sie nicht in bisher festgestellter und bewilligter Höhe hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II, ihr Leistungsanspruch bestehe daher nur noch in geringerer Höhe. Sie erhalte unter Fristsetzung bis zum 15. Januar 2009 Gelegenheit, vor einer abschließenden Entscheidung Stellung zu nehmen.

Die Klägerin überwies am 13. Januar 2009 einen Betrag von 795,42 Euro an die Steuerkasse Hamburg mit dem Verwendungszweck "Umsatzsteuervoranmeldung 2008".

Nachdem die Klägerin auf das Schreiben vom 29. Dezember 2008 nicht geantwortet hatte, erließ der Beklagte am 12. Februar 2009 einen mit "Änderung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)" überschriebenen Bescheid, mit dem de...

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