Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Verwertbarkeit eines medizinischen Sachverständigengutachtens in einem Rentenverfahren
Orientierungssatz
1. Gerichtliche Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten werden eingeholt, um den medizinischen Sachverhalt aufzuklären. Hierbei kommt es häufig zu einer Abweichung gegenüber den vom Rentenversicherungsträger eingeholten Gutachten. Für die Verwertbarkeit kommt es immer auf die Plausibilität und die Nachvollziehbarkeit des Sachverständigengutachtens und der dargelegten Argumente an.
2. Hat der Sachverständige eine plausible und damit vom Gericht nachvollziehbare Gesamtbeurteilung des Leistungsvermögens des Versicherten vorgenommen, so ist es vom Gericht uneingeschränkt verwertbar.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch für das Berufungsverfahren die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1957 geborene Klägerin leidet an verschiedenen Erkrankungen, überwiegend auf orthopädischem Fachgebiet. Die Klägerin arbeitete zuletzt als Packerin und Kontrolleurin beim O ... 2010 erfolgte eine Operation mit Gelenksersatz am linken Hüftgelenk, 2012 wurde ein künstliches Kniegelenk rechts eingesetzt, später erfolgte auch eine endoprothetische Versorgung des linken Kniegelenks. Die Klägerin nahm in der Zeit vom 15. November 2010 bis zum 6. Dezember 2010 und vom 14. Mai 2012 bis zum 4. Juni 2012 an stationären Rehabilitationsmaßnahmen teil. Mit Bescheid des Versorgungsamtes H. vom 11. Februar 2013 wurde ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt.
Am 2. November 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nachdem die von der Beklagten beauftragte Psychiaterin Dr. L. in ihrem Gutachten vom 28. März 2014 bei einem chronischen Schmerzsyndrom mit körperlichen und seelischen Faktoren und seelischer Minderbelastbarkeit sowie weiterer orthopädischer und internistischer Erkrankungen zu der Einschätzung gelangt ist, dass ein positives Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen in einem Umfang von 6 Stunden täglich und mehr gegeben sei, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. April 2014 den Antrag der Klägerin ab.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin vom 5. Mai 2014 blieb erfolglos. Auch der Facharzt für Orthopädie Dr. L1 stellte in seinem Gutachten vom 17. Juli 2014 ein positives Leistungsvermögen fest. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2015 als unbegründet zurück.
Mit ihrer am 30. März 2015 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobene Klage hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiterverfolgt. Sie sei nicht wegefähig und ihr Schmerzsyndrom sei nicht angemessen berücksichtigt worden.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten. Der Neurologe und Psychiater Dr. R. ist in seinem Sachverständigengutachten vom 14. Juni 2016 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin an einer ausgeprägten Adipositas, Bluthochdruck, einem Diabetes mellitus Typ 2, einem skelettogenem Schmerzsyndrom, einem Zustand nach Gelenksersatz beider Kniegelenke und der linken Hüfte sowie unter einer Migräne und einer Dysthymie leide. Damit sei die Klägerin aus nervenärztlicher Sicht noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten, eher einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung, in wechselnden Körperhaltungen ohne Heben und Tragen von schweren Lasten, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-Schicht- und Nachtarbeit, nicht unter dem Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen und Geräuschen vollschichtig (6 Stunden und mehr) zu leisten.
Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. D. hat in seinem Sachverständigengutachten vom 27. Januar 2017 eine erhebliche Minderbelastbarkeit und Minderfunktion des Achsenskelettes auf der Basis fortgeschrittener, degenerativ-umformender Veränderungen an der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule bei lumbosakraler Fehlstatik, lumbalen Bandscheibenschäden, Kontaktsyndrom der lumbalen Dornfortsätze und Spondylosis hyperostatica, überwiegend an der Brustwirbelsäule und Ausstrahlungsbeschwerden ohne neuromuskuläre Ausfälle, eine deutliche Minderbelastbarkeit beider Beine durch Gelenksersatz am linken Hüftgelenk und an beiden Kniegelenken in guter Funktion sowie eine Minderbelastbarkeit durch ein chronisches Schmerzsyndrom vom Typ Fibromyalgiesyndrom festgestellt. Im Zusammenspiel der zahlreichen Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet mit dem Fibromyalgiesyndrom sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich selbst für leichte körperliche Arbeiten auszugehen. Eine wesentliche Besserung des Leistungsvermögens sei nicht zu erwarten. Wegen des w...