Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Rente wegen Erwerbsminderung. Feststellung einer Erwerbsminderung bei einer Schmerzerkrankung. Anforderungen an die Feststellung des Leistungsvermögens

 

Orientierungssatz

1. Für die Feststellung des Leistungsvermögens eines Erwerbstätigen im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsminderung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung kommt es nicht auf die genaue Bezeichnung der Erkrankung oder Zuordnung eines Leidens zu einer bestimmten Codierung in einem Verschlüsselungssystem für Krankheiten an, sondern allein auf die tatsächlich festzustellenden Leistungseinschränkungen in Bezug auf die üblichen Anforderungen einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

2. Auch bei einer Schmerzerkrankung (hier: Schmerzen als Begleiterscheinung eines Fibromyalgiesyndroms) können für die Beurteilung von Leistungseinschränkungen als Basis der Feststellung einer Erwerbsminderung nur objektive bzw. objektivierbare Kriterien herangezogen werden, nicht aber subjektive Einschätzungen des Betroffenen.

3. Einzelfall zum Vorliegen einer Erwerbsminderung bei einem Fibromyalgiesyndrom (hier: Erwerbsminderung verneint).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. November 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die am 11. Juni 1961 geborene Klägerin lebt seit 1989 in Deutschland. Zuletzt arbeitete sie in Teilzeit als Lagerarbeiterin in einem Möbelkaufhaus. Die Klägerin leidet an einem Fibromyalgiesyndrom mit Schmerzen im gesamten Stütz- und Bewegungsapparat. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Mai 2008 und Widerspruchsbescheid vom 13. August 2010 den Antrag der Klägerin vom 7. März 2008 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (S 6 R 792/10) kam es zum Abschluss eines Vergleichs, nachdem der Sachverständige Dr. W., Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie, nur noch Tätigkeiten in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich für möglich erachtet hatte. Der Vergleich sah die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (sogenannte Arbeitsmarktrente) vom 1. August 2008 bis 31. Dezember 2011 vor. Noch im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin die Fortzahlung der Rente über den 31. Dezember 2011 hinaus. Dieser Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 16. April 2012 abgelehnt. Aufgrund des am 14. Mai 2012 erhobenen Widerspruchs der Klägerin veranlasste die Beklagte eine gutachterliche Untersuchung auf nervenärztlich-psychiatrischem Fachgebiet. Die Gutachterin Dr. F. kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung ohne wesentliche Funktionseinschränkungen und ohne wesentliche Einschränkungen psychosozialer Kompetenzen vorliegen würde. Die Klägerin wurde für in der Lage erachtet, vollschichtig leichte Tätigkeiten ohne besondere Stressbelastungen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne gehäufte oder dauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne dauernde Überkopf-Tätigkeiten auszuführen Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 18. Februar 2014 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie schon ohne Belastungen unter ständigen starken Schmerzen sowie unter Schlafstörungen leide, aufgrund derer sie sich schlapp und erschöpft fühle und oft nur schlecht konzentrieren könne. Hinzu kämen Schwellungen und Steifigkeitsgefühle in den Händen und Füßen. Zusätzlich leide sie an Schmerzen in den Knien und Schultergelenken. Darüber hinaus habe sie Depressionen. Die Beschwerden seien einer Behandlung kaum zugänglich. Es sei nicht ersichtlich, aufgrund welcher konkreten Umstände die Beklagte zu der Erkenntnis gelangt sei, dass die Klägerin wieder im Stande sei, leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. An der im vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren festgestellten Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens habe sich in positiver Hinsicht nichts geändert. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin, Unterlagen des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, die Akte des Versorgungsamts, die Akte des Sozialgerichts zum Az. S 6 R 792/10 und die Krankenakte der Abteilung Rheumatologie der Klinik beigezogen. Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Nervenärztin/Psychiaterin Dr. A nach Untersuchung der Klägerin ein schriftliches Sachverständigengutachten erstattet. Sie hat in ihrem Gutachten vom 24. Februar 2016 folgende Erkrankungen diagnostiziert: Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Auf orthopädisch/rheumatologischem Fachgebiet bestehe ein Schulterenge-Syndrom links, ein degeneratives Bandscheibenleiden der Hals- und Lendenwirbelsäule und auf internistischem Fachge...

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