Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Verordnung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zu Lasten der Krankenkasse. Mehrbedarfsleistung des Grundsicherungsträgers

 

Orientierungssatz

1. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind nach § 34 Abs. 1 SGB 5 von der Versorgung nach § 31 SGB 5 ausgeschlossen. Ausnahmsweise ist deren Verordnung zulässig, wenn diese bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Dazu ist notwendig, dass der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

2. Werden Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Behandlung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, so kann dies zwar grundsätzlich einen Anspruch auf eine Mehrbedarfsleistung des Grundsicherungsträgers nach § 21 Abs. 5 SGB 2 auslösen. Die Ernährung mit einer sog. Vollkost unterfällt nicht § 21 Abs. 5 SGB 2. Dabei handelt es sich nicht um Krankenkost, auf welche diese Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (BSG Urteil vom 10. 5. 2011, B 4 AS 100/10 R).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.05.2020; Aktenzeichen B 1 KR 7/19 B)

BSG (Beschluss vom 19.12.2018; Aktenzeichen B 1 KR 11/17 BH)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte oder die Beigeladene die Kosten für verschiedene nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu übernehmen hat.

Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Bezieherin von Arbeitslosengeld II, welches sie von der Beigeladenen erhält, pflichtversichert. Im Mai 2013 beantragte sie die Kostenerstattung sowie die künftige Kostenübernahme für folgende nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die ihr von den Ärzten Dr. N1, Dr. N. und Dr. H. verordnet wurden: Nasensalbe C.Ol. Pini Tub, Nasenspray Cromo-CT, Linola Fettcreme, Thymiverian-Lösung, Aspirin, Iberogast, Buscopan, Sinupret forte, Bepanthen Augensalbe, Salbe Unguentum emulsificans aquosum sowie Indische Flohsamenschalen.

Die Beklagte lehnte dies mit Bescheiden vom 22. Mai 2013 und 7. August 2013 ab und führte aus, dass eine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich ausscheide. Den Widerspruch der Klägerin wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 26. September 2013 zurück.

Im Rahmen des Klagverfahrens hat das Sozialgericht die Klägerin aufgefordert, ärztliche Verordnungen der streitigen Medikamente vorzulegen sowie unter Vorlage von Belegen die entstandenen Kosten mitzuteilen. Die Klägerin hat daraufhin Kopien von Belegen eingereicht, die den Zeitraum von März 2010 bis Februar 2014 umfassen und von der Klägerin in diesem Zeitraum aufgewendete Kosten in Höhe von 162,55 EUR dokumentieren. Geltend gemacht hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 10. März 2014 insgesamt 133,01 EUR, wobei die diesbezügliche Aufstellung nicht lückenlos durch Belege dokumentiert ist. Mit Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 2014 - der Klägerin zugestellt am 20. Dezember 2014 - hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Auf die am 19. Januar 2015 erhobene Berufung hin hat das Landessozialgericht die Berufung durch Urteil vom 14. Oktober 2015 zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, gemäß § 12 Abs. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AM-RL) in der Fassung vom 18.12.2008/22.01.2009 (BAnz 2009 Nr. 49a) sei die Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ausnahmsweise zulässig, wenn diese bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Eine Krankheit sei schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich sei oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige (§ 12 Abs. 3 AM-RL). Ein Arzneimittel gelte als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche (§ 12 Abs. 4 AM-RL). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung seien in der Anlage I zur AM-RL (OTC-Übersicht) abschließend aufgeführt.

Von den hier streitgegenständlichen Arzneimitteln seien in der OTC-Übersicht lediglich Aspirin (Acetylsalicylsäure) sowie die Flohsamenschalen aufgeführt. Acetylsalicylsäure sei nach Ziffer 2 und 3 der OTC-Liste lediglich als Thrombozyten-Aggregationshemmer bei gesicherter koronarer Herzkrankheit und in der Nachsorge von Herzinfarkt, Schlagfall und arteriellen Eingriffen sowie zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen in Co-Medikation mit Opioiden verordnungsfähig. Eine derartige Indikation bestehe bei der Klägerin nicht. Flohsamenschalen seien nach Ziffer 18 der OTC-Liste ...

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