Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. keine Erforderlichkeit einer vollstationären Behandlung. keine Abrechnung einer fiktiven teilstationären Behandlung

 

Orientierungssatz

Hat ein Krankenhaus eine nicht erforderliche vollstationäre Behandlung erbracht, kann es nicht unter dem Gesichtspunkt des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens eine teilstationäre Behandlung abrechnen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.04.2022; Aktenzeichen B 1 KR 5/21 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Juli 2019 abgeändert. Die Klage wird vollen Umfangs abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

3.Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist ein Anspruch auf Vergütung wegen Krankenhausbehandlung.

Der 1981 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte P. befand sich vom 20. Februar 2015 bis zum 8. April 2015 in vollstationärer Behandlung in der Klinik für P. des von der Klägerin betriebenen Krankenhauses, Standort O., dort in der Klinik T1, Station 024 (Persönlichkeitsstörungen und Sucht (Haus 2, 4. OG)). Hier war er bei bekannter Alkoholabhängigkeit mit qualifizierter Entgiftung im Jahr 2013 zuletzt im Zeitraum vom 8. Dezember 2014 bis zum 20. Januar 2015 vollstationär behandelt und nach der Entlassung in der Psychiatrischen Institutsambulanz des Krankenhauses der Klägerin weiter behandelt worden.

Die Rechnungen für die Behandlung im Zeitraum vom 20. Februar 2015 bis zum 8. April 2015 in Höhe von insgesamt 11.262,45 Euro wurden von der Beklagten zunächst beglichen. Sie beauftragte jedoch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Beratung. Dieser kam in seinem Gutachten vom 19./30. September 2015 durch Dr. B. zu dem Ergebnis, es habe sich um eine primäre Fehlbelegung gehandelt. Die Diagnose-Kriterien für die vom Krankenhaus angegebene schwere depressive Episode lägen nicht vor. Eine Destabilisierung des Versicherten seit seiner Entlassung aus der sechswöchigen stationären Behandlung im Dezember 2014/Januar 2015 sei nicht erkennbar. Auch ein zweimaliger Alkoholkonsum in der Zwischenzeit mit darüber hinaus bestehender Abstinenzfähigkeit rechtfertige die vollstationäre Krankenhausbehandlung ab dem 20. Februar 2015 nicht. Eine ambulante fachärztliche Behandlung, gegebenenfalls unter Einschaltung komplementärer Hilfesysteme, wäre für die Therapie der im Fokus stehenden kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie die pharmakologische Einstellung ausreichend gewesen. Als weitere Therapieoption unterhalb der vollstationären Versorgung hätte auch eine tagesklinische Weiterbehandlung zur Verfügung gestanden. Daraufhin verrechnete die Beklagte am 6. November 2015 die volle gezahlte Summe mit anderen unstreitigen Forderungen der Klägerin.

Am 25. Mai 2016 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 11.502,45 Euro (offenbar unter fälschlicher Einbeziehung der vom Versicherten geleisteten Zuzahlung von 240,00 Euro) zuzüglich Zinsen ab dem Tag der von der Beklagten vorgenommenen Verrechnung begehrt.

Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass es sich bei der Station, auf der der Patient behandelt worden sei, um eine Station mit hoher Spezialisierung auf Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und Traumafolgestörungen   handele, die wegen der Schwere der Symptomatik und/oder Komorbidität anderswo nicht (ausreichend) behandelt werden könnten. So werde geschlossene Unterbringung vermieden. Dies werde ermöglicht durch eine hohe Personalbindung mit der Möglichkeit, dass auch abends und nachts Pflegepersonal ständig intervenieren könne. Auf der Station gebe es sowohl teil- als auch vollstationäre Therapieplätze. Die Patienten würden durchgängig vom selben Therapeutenteam behandelt. Stets werde dabei auch testpsychologische Diagnostik durchgeführt.

Bei dem Versicherten sei es zu einer depressiven Dekompensation mit Alkoholkonsum in hohem Ausmaß gekommen. Nach seiner Entlassung im Januar 2015 mit nachfolgender Anbindung an die hausinterne psychiatrische Institutsambulanz sei der Versicherte regelmäßig zu den Gesprächen erschienen. Diese hätten ihn jedoch nicht ausreichend stabilisieren können. Er sei elektiv mit der Diagnose einer schweren depressiven Episode am 20. Februar 2015 erneut mit gedrückter und verzweifelter Stimmung, Antriebsmangel und Interessen- und Freudverlust aufgenommen und mit dem Antidepressivum S. behandelt worden. Damit sei die depressive Episode gebessert worden. Es habe mit Einverständnis des Versicherten eine gesetzliche Betreuung eingerichtet werden können.

Die Beklagte hat den MDK nochmals - diesmal unter Vorlage der Krankenakte des Versicherten - beteiligt. In deren Gutachten vom 13./15. Februar 2017 hat Dr. H. nunmehr ausgeführt, dass - anders als im psychopathologischen Aufnahmebefund des Entlassungsberichts - anhand der Verlaufsdokumentation des Behandlerteams in der Krankenakte die depressive Sy...

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