Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. stationäre Krankenhausbehandlung. äußere Wendung. physische und organisatorische Eingliederung einer Patientin in das spezifische Versorgungssystem
Orientierungssatz
Zur physischen und organisatorischen Eingliederung einer Patientin in das spezifische Versorgungssystem für das Vorliegen einer stationären Krankenhausbehandlung.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Zinsanspruch der Klägerin erst ab dem 24.04.2015 besteht.
2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Der Streitwert wird auf 912,91 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die in der 37. Schwangerschaftswoche schwangere und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte P. (im Folgenden: Versicherte) wurde am 8.6.2014 um 10:47 Uhr zum Versuch einer äußeren Wendung bei Beckenendlage des Fötus in das Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Am Mittag erfolgte die Aufnahme in den Kreißsaal, wo sie ans CTG angeschlossen wurde und eine intravenöse Tokolyse (Gabe wehenhemmender Medikation) erfolgte. Nach dem Start der Tokolyse wurde zunächst ein erfolgloser Wendungsversuch mit Rolle rückwärts, dann ein Wendungsversuch mit Rolle vorwärts beim ungeborenen Kind der Versicherten vorgenommen, der erfolgreich war. Nach Kontrolle der fetalen Herzfrequenz und erneutem CTG-Anschluss der Versicherten wurde diese sodann am frühen Nachmittag in die Häuslichkeit entlassen.
Am 23.10.2014 stellte die Klägerin der Beklagten für eine vollstationäre Behandlung insgesamt 612,91 EUR in Rechnung. Die Beklagte zahlte diese Rechnung zunächst, teilte der Klägerin aber mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des Falls beauftragt habe.
In seinem sozialmedizinischen Gutachten kam der MDK zu dem Ergebnis, dass zu keinem Zeitpunkt ein stationärer Behandlungsbedarf bestanden habe und eine Einbindung auf die Station nicht erfolgt sei. Daraufhin verrechnete die Beklagte am 23.04.2015 den vollen Betrag mit einer anderen unstreitigen Forderung der Beklagten verrechnet.
Die Klägerin hat am 9.9.2019 Klage zum Sozialgericht erhoben. Das Ungeborene habe sich in einer Beckenendlage befunden. Dies stelle eine Gefährdung sowohl für die Mutter als auch das Kind dar. Es habe daher eine Indikation zu dem Versuch einer äußeren Wendung vorgelegen. Der Eingriff bedürfe aufgrund seiner speziellen Risiken der Mittel eines Krankenhauses. Insbesondere könne es zu einem Abfall der Herztöne von Kind und/oder Mutter, zur Atemnot der Mutter bis hin zum Kreislaufstillstand, zur Plazentalösung, Plazentariss, Platzen der Fruchtblase oder Nabelschnurstrangulation des Kindes kommen. In diesen Fällen sei eine sofortige Intervention mit intensivmedizinischen und/oder chirurgischen Maßnahmen notwendig, um das Leben von Mutter und Kind zu erhalten. Daher müsse der Eingriff der äußeren Wendung zwingend nicht nur unter Vorhaltung, sondern auch Freihaltung der intensivmedizinischen Ressourcen eines Krankenhauses unter stationären Bedingungen und durch speziell ausgebildete Ärzte durchgeführt werden und bedürfe der engmaschigen Überwachung. Die Entlassung der Versicherten nach der erfolgreichen Wendung und die im Vorfeld erfolgte Besprechung einer möglichen Entlassung nach der Wendung rechtfertige es nicht, das Vorliegen einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu verneinen und die Klägerin auf eine ambulante Abrechnung zu verweisen.
Die Beklagten hat gemeint, der Klägerin stehe das geforderte Entgelt für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung nicht zu. Maßgeblich sei die bereits am Aufnahmetag wieder erfolgte Entlassung der Versicherten. Eine vollstationäre Behandlung und eine entsprechende Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses liege nicht vor, wenn - wie im vorliegenden Fall - nach der äußeren Wendung auf der Station lediglich eine Überwachung der Versicherten über vier Stunden erfolge. In Krankenhäusern der Versorgungsstufe der Klägerin sei grundsätzlich über 24 Stunden ein Sectio-OP-Saal sowie grundsätzlich bei ambulanten Eingriffen im Krankenhaus die Möglichkeit einer Intervention bei Komplikationen vorzuhalten, weshalb für die Behandlung der Versicherten kein erhöhter Ressourcenverbrauch geltend gemacht werden könne.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 01.04.2021 stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 612,91 EUR nebst Zinsen und 300,00 EUR Aufwandspauschale verurteilt. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs sei § 109 Abs. 4 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 17b Abs. 1 S. 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz und § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2014 sowie dem am 01.01.20...