Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Zuwendungen Dritter bzw der Eltern zur Überbrückung einer Notlage. Rückzahlungsverpflichtung

 

Orientierungssatz

1. Eine von einem Dritten lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellte Geldleistung ist kein zu berücksichtigendes Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB 2. Der entsprechende wertmäßige Zuwachs muss zur Anrechnungsfähigkeit dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben. Nur dann lässt er die Hilfebedürftigkeit in Höhe der Zuwendung dauerhaft entfallen.

2. Erhält der Hilfebedürftige von seinen Eltern im Wege der Nothilfe Geldzuwendungen und erwarten die Eltern im Falle eines Obsiegens im gerichtlichen Verfahren eine Erstattung der Beträge, so ist eine Anrechnung der Zuwendungen als Einkommen ausgeschlossen.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten (noch), ob dem im Jahr 1962 geborenen Kläger für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis zum 30. November 2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehen. Der Beklagte hatte den entsprechenden Leistungsantrag mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 abgelehnt, da der Kläger aufgrund anzurechnenden Einkommens nicht hilfebedürftig sei. Zu dem vom Beklagten berücksichtigten Einkommen gehörten insbesondere auch Zahlungen der Eltern des Klägers an diesen und seine Ehefrau. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, die Eltern hätten ihn lediglich unterstützt, weil der Beklagte seinen rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Auch die monatlichen Unterstützungszahlungen der Eltern seien als Einkommen zu berücksichtigen. Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2011 (eingegangen beim Amtsgericht Hamburg-Bergedorf am 13. Mai 2011) hat der Kläger den Widerspruchsbescheid im Wege der Klageerweiterung in die bereits anhängige Klage S 13 AS 3542/10 einbezogen; das Verfahren betreffend diesen Widerspruchsbescheid hat das Sozialgericht sodann abgetrennt (Beschl. v. 24. Juni 2011). Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlungen der Eltern beruhten auf einem Darlehensvertrag und seien daher nicht als Einkommen anzurechnen.

Das Sozialgericht hat am 7. September 2012 den Vater des Klägers als Zeugen gehört. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen (Bl. 32 der Prozessakten).

Mit Urteil vom 16. September 2014 hat das Sozialgericht den Beklagten, der zuvor eine Proberechnung erstellt hatte, unter Aufhebung der Bescheide vom 6. Dezember 2010 und 14. April 2011 verpflichtet, dem Kläger, dessen Ansprüche hier allein Klagegegenstand seien, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 2.248,05 EUR für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2010 zu gewähren: Die Zahlungen der Eltern seien hier nicht als Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen. Sie beruhten auf einer ernsthaften Darlehensabrede und hätten die vom Beklagten nicht erbrachten Leistungen substituieren sollen.

Das Urteil des Sozialgerichts wurde dem Beklagten am 9. Dezember 2014 zugestellt. Am 9. Januar 2015 hat er Berufung eingelegt.

Der Beklagte greift insbesondere die Beweiswürdigung des Sozialgerichts an. Es werde bezweifelt, dass es sich bei den vom Kläger von seinen Eltern erhaltenen Beträgen um Darlehen gehandelt habe. Von einer ernsten Darlehensverabredung könne nicht ausgegangen werden. Dem Vater sei es weniger darum gegangen, das Geld alsbald wieder zurückzuerhalten, sondern vorrangig um die Unterstützung des Sohnes. Auch habe der Kläger das Darlehen nicht absprachegemäß getilgt, nachdem er wieder eigenes Einkommen erzielt habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. September 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger tritt der Berufung entgegen und trägt vor, er habe seine Eltern aus seiner Notlage heraus lediglich um einen Überbrückungskredit gebeten. Das ergebe sich schon daraus, dass er nach jahrelang aus familiären Gründen unterbrochenem Kontakt zu seinen Eltern nicht als raffgierig habe verstanden werden wollen. Rückzahlungen seien bislang wegen aufgrund des Verhaltens des Beklagten notwendiger Kontoüberziehungen und aufgrund anderer Schulden noch nicht möglich gewesen. Sollte er den vorliegenden Prozess gewinnen, werde er das Geld sofort an seine Eltern auskehren.

Der Senat hat den Vater des Klägers im Termin am 23. Februar 2017 als Zeugen gehört. Dieser hat ausgesagt, er habe zusammen mit seiner Frau, der Mutter des Klägers, seinerzeit über das ganze Jahr hinweg geholfen, weil sein Sohn arbeitslos gewesen sei und keine Leistungen erhalten habe. Für den Fall eines Prozesserfolgs seines Sohnes erwarte er die Rückzahlung der finanziellen Hilfe.

Die den Kläger und seine Ehefrau betreffende...

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