Entscheidungsstichwort (Thema)
Gründungszuschuss. selbständige Tätigkeit. fehlerhafte Ermessensausübung. Vermittlungsvorrang. Vermittlungsaussicht. Einzelfallbetrachtung
Orientierungssatz
Bei der Entscheidung über einen Gründungszuschuss kann sich die Bundesagentur für Arbeit nur dann im Rahmen der Ermessensausübung auf den Vermittlungsvorrang gem § 4 Abs 2 SGB 3 berufen, wenn sie bei der Feststellung der Vermittlungsaussicht eine nachvollziehbar dokumentierte Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung der in der Person des Arbeitsuchenden liegenden Umstände, der bisherigen Vermittlungsbemühungen, sowie weiterer Umstände des Einzelfalles angestellt hat, deren Prognoserelevanz sich im konkreten Fall aufdrängt.
Tenor
1. Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 2014 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2012 verurteilt, den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Gründungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Gründungszuschusses.
Der ... August 1972 geborene Kläger legte im August 2001 das zweite juristische Staatsexamen ab und war zunächst in Bonn als Rechtsanwalt tätig, ab März 2002 als angestellter Rechtsanwalt in Hamburg und seit 2004 bei der Firma H., wo er nach dem Erwerb der Qualifikation als Steuerberater auch die Prüfung zum Fachanwalt für Steuerrecht ablegte und in dieser Funktion tätig war. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 31. Januar 2012 zum 31. März 2012 beendet, wobei nach Angaben des Arbeitgebers in der Arbeitsbescheinigung vom 20. Februar 2012 davon die Rede war, dass der Arbeitgeber ansonsten das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2012 gekündigt hätte.
Der Kläger meldete sich am 1. Februar 2012 arbeitssuchend; am 22. Februar 2012 meldete er sich arbeitslos zum 1. April 2012 und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte am 27. März 2012 Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 1. April 2012 für 360 Tage, stellte jedoch mit Bescheid vom 27. März 2012 das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs wegen Eintritts einer dreiwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe fest. Letztere Entscheidung hob sie auf den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 8. Mai 2012 wieder auf.
Am 22. Februar 2012 schlossen der Kläger und die Beklagte eine erste Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel der "Aufnahme einer Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt: Tätigkeit als Rechtsanwalt am lokalen Arbeitsmarkt (im Tagespendelbereich) in Vollzeit". In der Rubrik "Leistungen der Agentur für Arbeit" hieß es u.a., die Beklagte sende dem Kläger Vermittlungsvorschläge zu, soweit passende Angebote vorhanden seien. In der Rubrik "Bemühungen (des Klägers)" hieß es u.a., der Kläger suche intensiv nach Stellen als Rechtsanwalt und erstelle eine Liste mit seinen Bewerbungsbemühungen von wöchentlich mindestens 1-2 Bewerbungen. Am 9. Mai 2012 schlossen die Beteiligten eine neue Eingliederungsvereinbarung ab, in der die vorherigen in der Rubrik "Bemühungen (des Klägers)" durch einen Passus ergänzt wurde, wonach sich der Kläger parallel zur Beschäftigungssuche eine "Selbständigkeit ( ) als Einstieg in eine Sozietät mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern" vorbereite. Weiterhin hieß es in der Eingliederungsvereinbarung vom 9. Mai 2012 in der Rubrik "Leistungen der Agentur für Arbeit", dass eine "Beratung zur Beantragung eines Gründungszuschusses" durchgeführt worden sei.
Am 16. April 2012 beantragte der Kläger einen Gründungszuschuss für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt ab dem 1. Juni 2012 und legte am 29. Mai 2012 verschiedene Unterlagen, u.a. einen Geschäftsplan, eine Stellungnahme der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer und eine ergänzende Stellungnahme der L.-Stiftung vor.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gründungszuschuss ab: Ein Gründungszuschuss dürfe nur gewährt werden, wenn er notwendig für eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt sei. Im Hinblick auf die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei zwischen dem Förderaufwand und dem damit zu erreichen Erfolg abzuwägen. Angesichts der Ausbildung des Klägers und seiner besonderen Qualifikation sowie seines bisherigen Werdegangs sei seine Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zeitnah möglich. Ausgehend vom Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit fördere die Beklagte keine Existenzgründungen in den ersten 12 Wochen nach Beschäftigungsaufgabe. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis jedoch ohne wichtigen Grund selbst gelöst.
Der Kläger legte hiergegen am 27. Juni 2012 Widerspruch ein: Da keine gewichtigen Argumenten gegen die Gewährung eines Gründungszuschusses sprächen, sei da...