Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. teilstationäre multimodale Schmerztherapie. Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung. nicht ausgeschöpfte ambulante Behandlungsmöglichkeiten. kein Anhaltspunkt für eine von vornherein aussichtlose ambulante Behandlung
Orientierungssatz
1. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse nach § 109 Abs 4 S 3 SGB 5 gegenüber dem Krankenhaus setzt auch bei teilstationärer Behandlung des Versicherten ua voraus, dass die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erforderlich und wirtschaftlich iS von § 39 Abs 1 S 2 SGB 5 ist.
2. Eine solche Erforderlichkeit fehlt, wenn im konkreten Fall ambulante Behandlungsmöglichkeiten aus der für die Beurteilung maßgeblichen Ex-ante-Sicht des Krankenhauses nicht ausgeschöpft wurden, welche nicht von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg gewesen wären.
3. Ist bei einer chronischen Schmerzstörung in Verbindung mit einer psychischen Begleiterkrankung der Versicherte bisher weder von einem Psychiater, Psychotherapeuten, Neurologen oder Anästhesisten behandelt worden, und gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine ambulante, insbesondere psychotherapeutische, Behandlung von vornherein aussichtslos wäre, kann ein Krankenhaus mangels diesbezüglicher Erforderlichkeit eine teilstationäre multimodale Schmerztherapie nicht abrechnen.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2020 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Streitwert wird für das Klage- und das Berufungsverfahren auf jeweils 2310,20 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer teilstationären Krankenhausbehandlung.
Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte A.B. (im Folgenden: Versicherter) nahm in der Zeit vom 20. Juni bis zum 15. Juli 2016 an einem vierwöchigen interdisziplinären Therapieprogramm (multimodale Schmerztherapie) im Rückenzentrum des zugelassenen (§ 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫) Krankenhauses der Klägerin teil. Die Behandlung erfolgte teilstationär. Als Diagnosen lagen zugrunde eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, chronisch-rezidivierende Lumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in das Bein, ein lumbales Dekonditionierungssyndrom bei funktioneller Instabilität der unteren globalen Bewegungssegmente auf dem Boden degenerativer Veränderungen des ventralen und dorsalen Wirbelsäulenpfeilers (bisegmentale Bandscheibendegeneration LWK 3/4 mit medialer Protusion) und einer weichen Bindegewebsstruktur, eine muskuläre Dysbalance der Lenden-Becken-Hüft-Region mit ventral betonter Rumpfmuskulaturinsuffizienz (besonders des tiefen stabilisierenden Systems) sowie eine Anpassungsstörung.
Die von der Klägerin per Datenträgeraustausch an die Beklagte übermittelte „Endabrechnung“ vom 4. Juli 2016 wies eine Behandlung des Versicherten für den Zeitraum vom 20. bis zum 30. Juni 2016 - das Wochenende 25./26. Juni ausgenommen - mit regulärer Entlassung und einen Betrag in Höhe von 2310,20 Euro (9-mal tagesgleiches Entgelt „Frühreha“ 243,00 Euro zzgl. 5 Zuschläge) aus, den die Beklagte zunächst beglich, jedoch am 12. Juni 2017 nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK, heute: Medizinischer Dienst ≪MD≫) mit einem unstreitigen Behandlungsfall verrechnete, da sie die teilstationäre Behandlung des Versicherten nicht für medizinisch erforderlich erachtete. Die MDK-Gutachterin Dr. P. war in ihrem Gutachten vom 20. Februar 2017 zu dem Ergebnis gelangt, dass aus medizinischer Sicht eine primäre Fehlbelegung vorliege, da ambulante Behandlungsmaßnahmen ausreichend gewesen wären. Weder der Zustand des Patienten noch die durchgeführten Maßnahmen hätten einen stationären Aufenthalt gerechtfertigt.
Am 4. September 2017 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben mit dem Ziel, die Behandlungskosten nebst Zinsen von der Beklagten wieder erstattet zu bekommen. Die notwendige interdisziplinäre Behandlung und der individuelle Zeitaufwand für die teilstationäre Schmerztherapie hätten ambulant nicht umgesetzt werden können. Sämtliche Indikationskriterien des Operationen- und Prozedurenschlüssel(OPS)-Kodes 8-91c (Teilstationäre multimodale Schmerztherapie) für die Durchführung einer teilstationären multimodalen Schmerztherapie hätten ebenso vorgelegen wie die erforderlichen 3 von 5 Kriterien des OPS-Kodes 1-910 (Multidisziplinäre algesiologische Diagnostik). Eine rein ambulante Reha-Maßnahme oder ambulante Schmerztherapie, wie sie der MDK beschreibe, wären für den Versicherten nicht ausreichend gewesen. Der MDK habe sich erkennbar nicht hinreichend mit dem Einzelfall auseinandergesetzt.
Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK entgegengetreten und hat ergänzend ausgeführt, dass auch eine chronifizierte Schmerzstörung mit Funktionseinschränkungen der ambulan...