Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe. geeigneter Ort
Orientierungssatz
1. Die Gemeinsamkeiten der stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne Anspruch auf Behandlungspflege mit betreuten Wohnformen rechtfertigen es, diese Wohneinrichtungen als geeignete Orte iS von § 37 Abs 2 S 1 Alt 3 SGB 5 anzusehen, wenn man sie nicht schon als besondere Ausprägung des betreuten Wohnens versteht.
2. Der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe ohne Anspruch auf Behandlungspflege ist deutlich eher mit dem betreuten Wohnen als mit dem Aufenthalt in einem Krankenhaus oder Pflegeheim zu vergleichen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selber trägt. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Aufwendungen für häusliche Krankenpflege in der Zeit von Oktober 2008 bis Mai 2011.
Der bei der Beklagten krankenversicherte R.R. (i.F.: Versicherter) lebte in dem streitigen Zeitraum im J.-Haus dessen Träger die Beigeladene ist. Bei dem J. handelt es sich um eine stationäre Einrichtung in H., in der wohnungslosen Männern eine sozialpädagogisch betreute Unterbringung angeboten wird. Der Versicherte litt unter anderem an einem chronischen ulcus cruris am rechten Außenknöchel sowie an einer Tachyarrhythmia absoluta. Er bezog im streitigen Zeitraum Arbeitslosengeld II und erhielt seine Unterbringung im J. auf Kosten der Klägerin als Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialhilfe (SGB XII).
Gemäß ärztlicher Verordnung erhielt er in der Zeit von Oktober 2008 bis Mai 2011 häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung durch einen ambulanten Pflegedienst in Form von Medikamentengaben (herrichten und verabreichen) sowie teilweise zusätzlich in Form von Injektionen und Anlegen und Wechseln von Wundverbänden. Die Gesamtaufwendungen hierfür, die zunächst von der Klägerin getragen wurden, belaufen sich auf EUR 18.289,54. Die Beklagte lehnte eine Erstattung dieser Kosten ab.
Die Klägerin hat bereits am 6. November 2009 Klage auf Erstattung der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Aufwendungen erhoben und vorgetragen, der Erstattungsanspruch gegen die Beklagte stehe ihr zu, weil diese gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) vorrangig leistungsverpflichtet sei. Insbesondere handele es sich bei dem J. um einen "sonst geeigneten Ort" im Sinne von § 37 Abs. 2 SGB V, wofür vor allem spreche, dass die Einrichtung keine medizinische Behandlungspflege schulde. Im Laufe des Klagverfahrens hat sie die Klage um die Ansprüche auf Erstattung der laufend weiterhin entstandenen Aufwendungen erweitert.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 20. Februar 2012 verpflichtet, an die Klägerin EUR 18.289,54 nebst Zinsen zu zahlen. Es hat ausgeführt, der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 104 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Die Beklagte sei vorrangig leistungspflichtig, denn der Versicherte habe gegen sie einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 S. 1, 3. Alt. SGB V gehabt. Das J. sei jedenfalls ein "sonst geeigneter Ort" im Sinne dieser Vorschrift, denn das Vorliegen eines eigenen Haushalts werde hierfür gerade nicht vorausgesetzt. Die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die auf die eigene wirtschaftliche Haushaltsführung abgestellt habe, sei auf die aktuelle Gesetzesfassung nicht mehr anwendbar. Nur diese Auslegung entspreche der Intention des Gesetzgebers, durch die Einfügung des "sonst geeigneten Ortes" vorschnelle stationäre Einweisungen zu verhindern. Sie stehe auch im Einklang mit den aufgrund von § 37 Abs. 6 SGB V erlassenen Richtlinien. Aus den mit dem Versicherten geschlossenen Verträgen ergebe sich, dass die Unterbringung nicht auf medizinische Pflege, sondern auf Überwindung der Obdachlosigkeit gerichtet gewesen sei. Auch die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf häusliche Krankenpflege seien erfüllt. Der Zinsanspruch ergebe sich aus § 108 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB X. Die Verzinsung für den bei Klagerhebung bereits entstandenen und bezifferten Erstattungsanspruch in Höhe von EUR 8.808,92 beginne erst mit Anhängigkeit der Klage, da die monatlichen Zahlungsaufforderungen der Klägerin keinen Antrag im Sinne des § 108 Abs. 2 S. 1 SGB X darstellten. Die nach Klagerhebung entstandenen und bezifferten Erstattungsbeträge seien ab dem Beginn des jeweiligen Erstattungszeitraums zu verzinsen, da die Beklagte ab Klagerhebung gewusst habe, dass sie auch wegen der laufend weiter entstehenden Aufwendungen für häusliche Kra...