Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers als Voraussetzung einer Bewilligung von Leistungen des SGB 12
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Leistungen des SGB 12 erhält nach § 41 Abs. 3 SGB 12, wer u. a. unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert i. S. von § 43 Abs. 2 SGB 6 ist.
2. Wer in der Lage ist, noch zwischen drei und sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein, erfüllt diese Voraussetzung nicht. Denn die Rentengewährung erfolgt in diesem Fall nicht allein aufgrund der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit, sondern auch aufgrund der Arbeitsmarktlage, d. h. aufgrund der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ist für die Beurteilung der grundsicherungsrechtlichen Frage der Erwerbsfähigkeit aber ohne Bedeutung (BSG Urteil vom 21. 12. 2009, B 14 AS 42/08 R).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung von Leistungen der Grundsicherung wegen Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die Klägerin wurde 1972 mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht geboren und im Universitätsklinikum E. in H. geschlechtsangleichend operiert sowie medikamentös behandelt. Sie sieht sich durch diese Behandlung, die sie als Folter bezeichnet, schwer traumatisiert und bemüht sich seit geraumer Zeit, bei verschiedenen Behörden und in diversen gerichtlichen Verfahren Entschädigungsforderungen durchzusetzen.
Die Klägerin hat ein Studium der Rechtswissenschaften mit dem Magister-Titel abgeschlossen und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Anschließend war sie arbeitslos. In der Zeit vom 21. August 2012 bis zum 19. August 2013 erhielt sie Arbeitslosengeld I nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von monatlich 747,30 Euro. Ab September 2012 bezog sie aufstockend Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Derzeit erhält sie eine bis zum 31. Januar 2017 befristete Rente wegen Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie aufstockende Leistungen nach dem SGB II vom Beigeladenen.
Am 13. Juli 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Juli 2012 ab mit der Begründung, die Klägerin habe vorrangige Ansprüche nach dem SGB III und dem SGB II. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2012 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, da nach den vorliegenden Unterlagen kein Zweifel daran bestehe, dass sie erwerbsfähig sei.
Am 22. Dezember 2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht erhoben mit dem Ziel, Leistungen nach dem SGB XII zu erhalten. Sie hat vorgetragen, die Bundesrepublik Deutschland sei verpflichtet, ihr eine angemessene Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Folterverbot aus Art. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (im Folgenden: UN-Antifolterkonvention) zu gewähren. Bis dies geschehen sei, sei die Beklagte zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB XII zu verpflichten.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2013 hat die Deutsche Rentenversicherung Bund der Klägerin eine zunächst bis zum 31. Dezember 2014 befristete Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt. Dies basierte auf einem Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr ..., der die Klägerin im August 2012 untersucht hatte, wobei die Begutachtung nach ca. 20 Minuten durch die Klägerin beendet worden war. Dr ... war in seinem Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass die Klägerin drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbsfähig sein könne. In dem Rentenbescheid vom 14. Juni 2013 heißt es dazu: "Der Rentenanspruch ist zeitlich begrenzt, weil die volle Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf Ihrem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruht". Weitere Begutachtungen zur Frage der Erwerbsfähigkeit haben nach Angabe der Klägerin nicht stattgefunden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Juni 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe bereits deshalb keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung, weil sie infolge der ihr gewährten Leistungen nach dem SGB III und dem SGB II nicht hilfebedürftig sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass ihr diese Leistungen zu Unrecht gewährt worden seien. Insbesondere lägen keine Gründe vor, die an der Erwerbsfähigkeit der Klägerin zweifeln ließen.
Gegen den ihr am 17. Juni 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Juli 2014 Berufung eingelegt und dies...