Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt. Kostenübernahme für den Einsatz eines Gebärdendolmetschers zur Durchführung eines Studiums. Vermögenseinsatz. Härte
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Kostenübernahme für den Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers zur Durchführung eines Studiums kann sich im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen aus § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 iVm den §§ 55 Abs 2 Nr 4 und 57 SGB 9 als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Form der Hilfe zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt ergeben.
2. § 90 Abs 3 S 1 SGB 12 kommt die Aufgabe zu, diejenigen Fälle zu erfassen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht bereits von den Regeltatbeständen des Schonvermögens erfasst werden, diesen aber in Bezug auf den Regelungszweck grundsätzlich gleichwertig sind. Damit kommen nur solche Fälle in Betracht, bei denen angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber, hätte er sie gekannt, eine entsprechende Regelung getroffen hätte.
3. Der Gesetzgeber hat den Fall, dass behinderte Menschen sich in Ausbildung befinden und hierfür Kosten aufzuwenden haben, durchaus bedacht und nur in ganz bestimmten näher umschriebenen Fällen eine Einschränkung der Vermögensanrechnung bestimmt (vgl § 92 Abs 2 S 1 Nr 2, 4 und 8 SGB 12).
Nachgehend
BSG (Vergleich vom 21.09.2017; Aktenzeichen B 8 SO 25/15 R) |
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte gegenüber dem Kläger Aufwendungen für Eingliederungshilfeleistungen zu erstatten hat.
Der im Jahr 1988 geborene ledige Kläger ist gehörlos. Durch Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten in K. vom 24. Januar 2005 wurde gegenüber dem Kläger ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt und ihm die Merkzeichen H, Gl und RF zugesprochen. Zum Wintersemester 2010/2011 nahm der Kläger ein Studium der Mathematik an der Universität H. auf.
Am 5. Oktober 2010 beantragte der Kläger gegenüber der Beklagten Studienhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Aufgrund seiner Gehörlosigkeit sei er für eine erfolgreiche Durchführung des Studiums auf Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung, Schriftvermittler, studentische Mitschreibkräfte und Tutoren angewiesen und habe einen behinderungsbedingten Mehrbedarf an Fachliteratur und Lernmitteln. Der Kläger legte Unterlagen über Bankguthaben und Wertpapierdepots vor, aus denen sich ergab, dass er damals über Guthaben und Effekten im Wert von mehr als 15.000 EUR verfügte.
Dem Kläger entstanden im Wintersemester 2010/2011 Kosten für Gebärdensprachdolmetscher in Höhe von insgesamt 9.330,03 EUR, die er selbst aus seinem Vermögen beglich.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab: die für den Kläger geltende Vermögensschongrenze in Höhe von 3.350,- EUR sei überschritten; sein Vermögen belaufe sich auf über 15.000 EUR.
Der Kläger erhob Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011 zurückgewiesen wurde. Am 8. September 2011 hat er vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die mittlerweile selbst beschafften Eingliederungshilfeleistungen ohne Vermögensanrechnung zu erstatten.
Mit Urteil vom 20. Januar 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es, der Kläger habe für den streitgegenständlichen Zeitraum (Wintersemester 2010/2011) keinen Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe, weshalb die Beklagte nicht antragsgemäß zu verpflichten gewesen sei. Der Kläger gehöre als schwerbehinderter Mensch zwar grundsätzlich zum Personenkreis der §§ 53 ff. SGB XII. Allerdings stehe die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen durch den Sozialhilfeträger unter dem Vorbehalt der Bedürftigkeit. Das folge aus § 19 Abs. 3, § 90 SGB XII. Nach § 90 Abs. 1 SGB XII sei das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Die Beklagte habe § 90 SGB XII fehlerfrei angewendet und das dem Kläger zu belassende Schonvermögen zutreffend berechnet. Die weiteren Ausnahmebestimmungen des § 90 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 SGB XII und des § 92 SGB XII griffen nach ihrem Wortlaut im Fall des Klägers nicht. Das Sozialgericht sehe keine Möglichkeit, die Bestimmung des § 90 SGB XII dahingehend auszulegen, dass der Kläger sein Vermögen abweichend vom Wortlaut der Regelung nicht einzusetzen habe. Eine solche Auslegung gebiete weder Art. 3 Grundgesetz noch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (Bundesgesetzblatt 2008 II Seite 1419 - VN-BRÜ). Die sich aus § 90 Abs. 1 SGB XII ergebende Anrechnung von Vermögen verstoße nicht gegen Art. 3 Grundgesetz. Weder der allgemeine Gleichheitsgrundsatz noch das spezielle Diskriminierungsverbot behinderter Menschen sei verletzt. Eine v...