Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Aufrechnung mit anderen Abrechnungsfällen. keine Ausnahme vom Aufrechnungsverbot bei abstrakter Strukturanalyse des MDK

 

Orientierungssatz

Die in einem Landesvertrag nach § 112 SGB 5 vorgesehene Regelung, wonach eine Aufrechnung mit Forderungen oder Gegenforderungen aus anderen Abrechnungsfällen ausnahmsweise möglich ist, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Rahmen seiner Begutachtung die Voraussetzung für eine Rückforderung der Krankenkasse festgestellt hat, ist nicht erfüllt, wenn der MDK lediglich eine abstrakte Strukturanalyse durchgeführt hat.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.11.2021; Aktenzeichen B 1 KR 36/20 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung. Die Klägerin behandelte im Zeitraum 22.01.2016 bis 23.05.2016 einen im Jahr 1952 geborenen Versicherten der Beklagten.

Unter anderem im Auftrag der Beklagten führte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) am 24.06.2016 eine Strukturanalyse bezüglich des Krankenhauses der Klägerin im Hinblick auf die aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung OPS 8-98f durch. Im Ergebnis verneinte der MDK das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Prozedur im Haus der Klägerin.

Die Rechnung der streitigen Behandlung, die unter anderem eine Kodierung der OPS 8-98f beinhaltete, wurde durch die Beklagte zunächst am 07.07.2016 in Höhe von 120.564,78€ bezahlt. Gleichzeitig beauftragte die Beklagte den MDK mit der Überprüfung des streitigen Behandlungsfalles im Hinblick auf Behandlungsdauer, Kodierung von Hauptdiagnose sowie der abgerechneten Prozeduren, was der Klägerin am 05.07.2016 mitgeteilt worden war.

Mit weiterer Strukturanalyse vom 02.09.2016 stellte der MDK erneut fest, dass die Strukturvoraussetzungen der Abrechenbarkeit des OPS 8-98f nicht erfüllt seien.

Mit Gutachten vom 07.11.2016 stellte der MDK im Hinblick auf den hier streitigen Behandlungsfall fest, dass die Hauptdiagnose zu ändern sei. Auch seien bestimmte Prozeduren zu streichen und der Versicherte habe bereits vier Tage früher entlassen werden können. Aus alledem ergebe sich die Diagnosis Related Group (DRG) A36B. Diese sei statt der von der Klägerin kodierten DRG F36C heranzuziehen. Die grundsätzliche Kodierbarkeit der Prozedur 8-98f wurde durch den MDK dabei nicht beanstandet, wobei das Gutachten den Zusatz enthält: „Aussagen in Gutachten zu OPS-Komplexbehandlungen beziehen sich nicht auf Strukturvorgaben einer OPS-Komplexbehandlung.“

Auf Basis des MDK-Gutachtens und unter Berücksichtigung der vom MDK kodierten DRG A36B erließ die Klägerin zunächst eine neue Rechnung in Höhe von 106.287,15 €. Es fand eine Rückbuchung der ursprünglich gezahlten Rechnungssumme statt und in der Folge wies die Beklagte im Rechnungsavis am 11.07.2017 die neue Rechnungssumme vollständig erneut an.

Nach erneuter Kontaktaufnahme im April 2018 verrechnete die Beklagte sodann am 03.05.2018 einen Betrag von € 28.617,86 mit unstreitig bestehenden Forderungen der Klägerin. Dies entspricht dem Betrag, um den die Rechnungssumme zu reduzieren wäre, sofern die Prozedur 8-98f aus der Kodierung herausgestrichen würde.

Die Klägerin hat am 17.12.2018 Klage erhoben. Sie beruft sich auf die Unzulässigkeit der Aufrechnung. Diese verstoße gegen das Aufrechnungsverbot aus § 11 Abs. 5 des Hamburger Landesvertrages zu § 112 SGB V vom 19.12.2002 (Landesvertrag).

Nach dem Vortrag der Beklagten hätten die Strukturvoraussetzungen nicht vorgelegen und die Beklagte habe auch nicht gegen den Landesvertrag verstoßen. Es habe ein Ausnahmefall gemäß § 6 Abs. 5 des Landesvertrags vorgelegen, da der MDK von der Beklagten beauftragt worden sei. Außerdem habe die Klägerin gewusst, dass die Strukturvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Damit beruhe die Zahlung der Beklagten auf von der Klägerin zu vertretenden unzutreffenden Angaben.

Mit Urteil vom 03. März 2020 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von € 28.617,86 nebst 5% Zinsen seit dem 03.05.2018 zu zahlen. Das Sozialgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von € 28.617,86 gegen die Beklagte nicht durch Aufrechnung der Beklagten erloschen sei. Die Beklagte habe nicht eigene Erstattungsansprüche wegen Überzahlungen bezüglich der Krankenhausbehandlung der Versicherten der Beklagten im Wege der Aufrechnung geltend machen dürfen. Das Sozialgericht hat dabei offengelassen, ob ein Erstattungsanspruch bestehe, gleichzeitig aber festgestellt, dass jedenfalls ein Aufrechnungsverbot zum Tragen komme. Zudem sei weder der Anwendungsbereich der PrüfvV eröffnet noch eine Ausnahmeregelung bezüglich des grundsätzlichen Aufrechnungsverbots erfüllt. Der Anwendungsbereich der PrüfvV sei nicht eröffnet, da die Beklagte die Aufrechnung nicht aufgrund einer gutachterlichen ...

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