Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Leistungspflicht der Krankenkasse für eine chirurgische Brustverkleinerung
Orientierungssatz
1. Eine behandlungsbedürftige Krankheit i. S. von § 27 SGB 5 liegt nur dann vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn eine anatomische Abweichung entstellend wirkt. Letzteres ist erst dann der Fall, wenn die körperliche Anomalie ständig viele Blicke auf sich zieht, sodass der Betroffene zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet ist.
2. Eine chirurgische Brustverkleinerung darf immer nur ultima ratio sein. Eine Bewilligung ist nur dann vertretbar, wenn mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Maßnahme auch den gewünschten Erfolg bringt. Dies muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erkennen sein.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen Außergerichtliche Kosten werden auch im Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Mammareduktionsplastik.
Die 1979 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik. Aufgrund der Größe ihrer Brüste leide sie unter Kopf-, Nacken-, Brust- und Rückenschmerzen. Im Sommer entstünden unter ihren Brüsten Entzündungen. Außerdem habe sie eine depressive Verstimmung und wolle endlich ihre Lebensqualität zurückerhalten. Beigefügt war ihrem Antrag ein Arztbrief der A. Klinik W., wonach bei einer Makromastie beidseits die Indikation für eine operative Brustverkleinerung gesehen wurde. Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nach Aktenlage. Dieser kam im Rahmen seines Gutachtens vom 14. Juni 2012 zu dem Ergebnis, dass weder eine Anomalie noch eine Funktionseinschränkung von Krankheitswert vorlägen. Den orthopädischen Beschwerden sei vorrangig mit den Mitteln eines anerkannten Therapiekonzepts zu begegnen. Bezüglich der Beschwerden des Bewegungsapparates sei wissenschaftlich ein Kausalzusammenhang zwischen dem Gewicht der Brust und den Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates nicht nachgewiesen. Die Brustverkleinerungsoperation, die zudem mit Risiken verbunden sei, sei medizinisch nicht indiziert. Mit Bescheid vom 2. August 2012 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die geplante Brustverkleinerung ab und berief sich auf die Stellungnahme des MDK.
Die Klägerin legte Widerspruch ein und ein ärztliches Attest vom 4. Dezember 2012 von Dr. C. vor, wonach aus orthopädischer Sicht eine Mammareduktion zur Stabilisierung des Haltungsbildes und zur Reduktion der geklagten Beschwerden sinnvoll sei. Der MDK kam nach Untersuchung der Klägerin mit Gutachten vom 2. September 2013 weiterhin zu dem Ergebnis, dass eine Mammareduktion nicht medizinisch indiziert sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2013 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 27. November 2013 Klage erhoben. Sie habe Anspruch auf Übernahme der Kosten einer beidseitigen Mammareduktionsplastik, da diese allein geeignet sei, die massiven Rückenschmerzen, die Berührungsschmerzen an der Brust und den psychischen Leidensdruck zu vermindern.
Das Sozialgericht hat ein orthopädisches Gutachten von Frau Dr. H. eingeholt. Frau Dr. H. ist in ihrem Gutachten vom 5. Juni 2014 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin eine massive Wirbelsäulenfehlstatik mit teilfixiertem Rundrücken und Hohlkreuz, eine muskoskelettale Reaktion mit Muskelverspannungen, Ansatztendinosen, eine Schmerzhaftigkeit z. B. am Brustbein und an der Symphyse, Verschleißveränderungen der mittleren Brustwirbelsäule und geringere Verschleißveränderungen an der unteren Halswirbelsäule vorliegen würden. Diese Diagnosen würden die angegebenen Beschwerden plausibel erklären, insbesondere auch die Schmerzen bereits beim morgendlichen Aufwachen, die schwerlich mechanisch zu deuten seien. Zudem bestehe bei der Klägerin eine beidseitige Mammahypertrophie und eine Ptosis, die sich allerdings im Rahmen der biologischen Variationsbreite bewege und als solche nicht krankhaft sei. Ein pathologischer Palpationsbefund sei im Bericht des A. W. nicht erwähnt und auch jetzt nicht vorhanden. Die bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden seien mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht auf die Größe der Brüste zurückzuführen. Eine Brustverkleinerungsoperation sei nicht erforderlich. Derzeit würden keine ärztlichen Behandlungen durchgeführt. Die Einnahme von Schmerzmitteln sei eine denkbare Alternative. Des Weiteren komme eine multimodale Therapie in Frage, die neben einer dringend erforderlichen Haltungsschulung und einer Verbesserung der muskulären Balance auch psychische Aspekte berücksichtige. In einer weiteren Stellungnahme hat die Gutachterin ergänzt, dass bei der Kläge...