Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Festsetzung eines Zielfeldregresses. Erforderlichkeit einer formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Verfassungsmäßigkeit. Verordnung inhalativer Glucocorticoide Mono im zweiten Verordnungshalbjahr 2005 in Hamburg

 

Orientierungssatz

1. Die Festsetzung eines Zielfeldregresses darf nur aufgrund einer formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfolgen.

2. Die Erforderlichkeit einer formell-gesetzlichen Grundlage ergibt sich für Zielfeldregresse aus dem Vorbehalt des Gesetzes als Teil des in Art 20 Abs 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips und dem Demokratiegebot (Art 20 Abs 1 GG).

3. Eine derartige formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hat es für die Festsetzung eines Zielfeldregresses - hier für die Verordnung inhalativer Glucocorticoide - Mono im zweiten Verordnungshalbjahr 2005 nach Überschreitung des vereinbarten Ausgabevolumens für insgesamt von Hamburger Vertragsärzten veranlasste Leistungen - nicht gegeben.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten jeweils selbst tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist ein Regress aufgrund einer Zielfeldprüfung für das zweite Verordnungshalbjahr 2005.

Die Klägerin, eine Berufsausübungsgemeinschaft von zwei Ärzten für Innere Medizin, ist im Bereich der hausärztlichen Versorgung zur vertragsärztlichen Versorgung in Hamburg zugelassen.

Mit Anhörungsschreiben vom 26. Februar 2009 teilte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hamburg der Klägerin mit, sie habe in einem oder in mehreren der für das zweite Halbjahr 2005 vereinbarten Zielfeldern die Zielvorgabe nicht erreicht. Die Klägerin erhalte Gelegenheit, zur Zielwertüberschreitung eine Stellungnahme abzugeben. Insbesondere werde gebeten mitzuteilen, ob Besonderheiten für einzelne Patienten oder Patientengruppen geltend gemacht würden, die bei entsprechender Indikation eine Verordnung höherpreisiger Arzneimittel rechtfertigen könnten. Die Zielfeldüberschreitungen seien bei der Verordnung von inhalativen Glucocorticoiden, Mono (623,19 Euro), bei Insulinen, kurz wirksam (216,25 Euro) und bei Sulfonylharnstoffen (249,44 Euro) aufgetreten. Dem Schreiben war eine Tabelle beigefügt, in der die in den betroffenen Zielgruppen verordneten Arzneimittel mit Pharmazentralnummer (PZN), dem Code nach dem Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikationssystem (ATC-Code), Wirkstoff, Hersteller, Name, Darreichungsform, Packungsinhalt, Anzahl der verordneten Packungen, Ausgaben, verordneten definierten Tagesdosen (DDD), Kosten je DDD und dem Zielwert Kosten je DDD aufgeführt waren.

Mit Schreiben vom 23. März 2009 erklärte die Klägerin, die zur Verfügung gestellten Unterlagen seien sehr dürftig. Es sei nicht möglich, anhand dieser Unterlagen Besonderheiten zu einzelnen Patienten oder Patientengruppen geltend zu machen, die bei entsprechender Indikation einer Verordnung höherpreisige Arzneimittel rechtfertigen könnten.

Mit Bescheid vom 8. September 2009 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von 940,22 Euro netto (553,64 Euro bei inhalativen Glucocorticoiden, Mono, 196,03 Euro bei Insulinen, kurz wirksam und 190,55 Euro bei Sulfonylharnstoffen) wegen Zielfeldüberschreitung fest.

Am 7. Oktober 2009 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch, den der Beklagte mit Beschluss vom 16. März 2011 zurückwies. Zur Begründung führte er aus, der Regress sei zu Recht festgesetzt. Die Beigeladene zu 7 habe in ihrem Journal und in Informationsveranstaltungen zur Zielfeldprüfung detaillierte Angaben zur Vermeidung von Zielfeldüberschreitungen sowie zur Rechtfertigung von Überschreitungen gemacht. Es sei insbesondere auf die Dokumentationspflicht des Vertragsarztes hingewiesen worden. Die Berufsausübungsgemeinschaft sei verpflichtet, die Gabe von Medikamenten in ihrer Kartei zu dokumentieren und das verordnete Medikament anzugeben, sodass es in der Patientenkartei recherchiert werden könne. Es sei daher zu erwarten, dass die Berufsausübungsgemeinschaft einen “patientenbezogenen Sachvortrag„ der Medikation der hier in Rede stehenden Zielfelder erstelle, an dem ein Dritter das Verordnungsverhalten nachvollziehen könne. Ein solcher Sachvortrag liege nicht vor. Das gehe zu Lasten der Vertragsärzte.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. April 2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, ihr sei es nicht möglich, allein aus den Namen der verordneten Medikamente auf die von der Regressforderung betroffenen Patienten zu schließen. Der angefochtene Bescheid sei unsubstantiiert und ermögliche keine Rechtsverteidigung. Der Bescheid der Prüfungsstelle sei daher rechtswidrig. Da bereits der Grundbescheid es der Klägerin ex tunc unmöglich mache, von ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen, sei der hier angefochtene Bescheid im Übrigen aufzuheben, ohne dass zugleich eine Verpflichtung zur...

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