Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wegen psychischer Erkrankung. Zeitliches Leistungsvermögen. Sachverständiger

 

Orientierungssatz

1. Kann der Versicherte körperlich leichte Arbeiten mit gewissen unwesentlichen qualitativen Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten, so ist ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen.

2. Bei dem Einfluss einer mittelgradigen depressiven Störung mit einem somatischen Syndrom auf das Leistungsvermögen des Versicherten ist entscheidend auf etwaige Diskrepanzen zwischen den eigenen Angaben des Versicherten über seine Tagesaktivitäten und den fremdanamnestischen Angaben abzustellen. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte Phasen geltend macht, in denen sein Leistungsvermögen über eine Dauer von mehr als sechs Monaten aufgehoben ist. Lässt sich dies anhand eines dokumentierten Verlaufs nicht sicher beantworten, so ist die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung zu versagen.

 

Normenkette

SGB VI § 43 Abs. 1-2

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. September 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die im Jahre 1952 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit November 1973 in der Bundesrepublik Deutschland und war hier, ohne eine förmliche Berufsausbildung durchlaufen zu haben, seit März 1977 u. a. als Verkäuferin und Raumpflegerin und zuletzt bis zum 24. März 2005 als Küchenhilfe in einem Krankenhaus versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 11. Februar 2005 war sie arbeitsunfähig krank und bezog nach dem Ende der Entgeltfortzahlung ab dem 25. März 2005 Krankengeld. Seither hat sie keinerlei Erwerbstätigkeit aufgenommen. Mit Wirkung ab Dezember 2003 wurde sie als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Dabei wurden die folgenden Gesundheitsstörungen berücksichtigt: - An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts, Schwerhörigkeit links, - Psychische Störung, funktionelle Organbeschwerden, - Sehbehinderung beiderseits, Gesichtsfeldausfälle beiderseits.

Bereits am 27. Januar 2005 hatte sie bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung beantragt und geltend gemacht, sie könne wegen Depressionen, Schulter-, Kopf- und Knieschmerzen sowie wegen Schwerhörigkeit nur noch weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie konkretisierte diese Angaben in dem der Vorbereitung der von der Beklagten vorgesehenen Begutachtung dienenden Fragebogen dahin, dass sie halb taub sei und (deswegen) Hörgeräte trage. Wegen der Taubheit werde sie von ihren Kollegen gemobbt. Deshalb habe sie Depressionen bekommen. Der die Klägerin seinerzeit behandelnde Nervenarzt Dr. B1 bezeichnete in seinem Befundbericht vom 2. Juni 2005 die bei der Klägerin auf seinem Fachgebiet bestehende Erkrankung als chronifizierte somatisierte neurotische Depression.

Die Ärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. B. kam nach Untersuchung der Klägerin am 27. Mai 2005 in ihrem Gutachten vom 1. Juni 2005 zum Ergebnis, dass ihr körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten täglich sechs Stunden und mehr zuzumuten seien. Als Diagnosen führte sie an: - Anamnestisch Depression und Kopfschmerzen, seit Januar 2004 mit Antidepressiva behandelt. - Anamnestisch Schwerhörigkeit durch Lärm, beidseits hörgerätversorgt, Umgangssprache wird damit verstanden. Sie sah kein klinisches Korrelat zu den im Rentenantrag angegebenen Knie- und Schulterschmerzen, keine funktionelle Einschränkung von Bedeutung, keine Entzündungszeichen, keine (hiesige) Schmerzangabe.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Wolter gelangte nach Untersuchung der Klägerin am 1. August 2005 in seinem Gutachten vom 2. August zu derselben Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin. Er formulierte als Diagnose: Verdacht auf Verstimmungszustand mit Somatisierungstendenz und Versagenshaltung als Reaktion auf Arbeitsplatzkonflikt.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 11. August 2005 wegen des Fehlens einer rentenrechtlich relevanten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin ab. Der dagegen erhobene und in erster Linie mit den vom Versorgungsamt im Zusammenhang mit ihrer Anerkennung als Schwerbehinderte festgestellten Gesundheitsstörungen erhobene Widerspruch wurde nach Auswertung eines weiteren Befundberichtes des Dr. B1 vom 27. September 2005 und des Berichts des Orthopäden Dr. T. vom 14. Oktober 2005 durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2006 zurückgewiesen. Dr. T. hatte die folgenden Diagnosen gestellt: - Rezidivierendes und belastungsabhängiges degeneratives Thorakolumbalsyndrom mit Linksbetonung, - Rezidivierendes degeneratives Cervikobrachialsyndrom mit Linksbetonung, - psychovegetative Erschöpfungszustände

Im anschließendem Klageverfahren vor dem Sozialgericht haben ...

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