Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Verwertbarkeit eines psychiatrischen Rentengutachtens

 

Orientierungssatz

1. Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten kommt es nicht auf die vom medizinischen Sachverständigen gestellte Diagnose an, sondern auf die tatsächlich bestehenden Funktionsstörungen.

2. Hat der Sachverständige seine Einschätzung aus den von ihm erhobenen und aus den aktenkundigen Befunden schlüssig und nachvollziehbar und damit überzeugend abgeleitet, so bestehen gegen die Verwertung seines Gutachtens durch das Gericht keinerlei Bedenken.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Juni 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am … 1955 in S./Bosnien geborene Klägerin lebt seit 1973 in der Bundesrepublik Deutschland und war hier ohne förmliche Berufsausbildung als Packerin, Zimmermädchen, Küchenhilfe und zuletzt als Arbeiterin im Hauswirtschaftsdienst bei der Vereinigung H. gGmbH versicherungspflichtig beschäftigt. Sie hat diese Beschäftigung seit dem Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im November 1999 auch nach der operativen Behandlung einer hochgradigen asymptomatischen Stenose der das Gehirn versorgenden Arteria carotis interna (der Halsschlagader) am 17. Dezember 1999 im Rahmen ihres Aufenthalts im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-A. vom 10. Dezember bis zum 21. Dezember 1999 und auch dem Ende des Bezuges von Krankengeld mit Ablauf des 4. März 2001 nicht mehr ausgeübt; der Arbeitgeber beendete das Arbeitsverhältnis mit ihr aus personenbedingten Gründen zum 31. Dezember 2003. Seither hat sie keinerlei Erwerbstätigkeit aufgenommen.

Der damalige Hausarzt der Klägerin Dr. H1, Arzt für Allgemeinmedizin, begründete die Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit am 26. November 1999 mit dem Bestehen einer somatisierten Depression bei Arbeitsplatzkonflikt, der Internist Dr. R. vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Hamburg in seinem Gutachten vom 23. März 2000 mit einem anhaltenden psychovegetativen depressiv getönten Erschöpfungs- und Versagenszustand mit Angstsymptomen und Neigung zu konversiver Verarbeitung sowie mit einer Neigung zu hypertoner Dysregulation bei Zustand nach Carotisdesobliteration rechts. Die auf seine Empfehlung von der Beklagten bewilligte stationäre Heilbehandlung in der W.-Klinik in Bad E. brach die Klägerin am 25. Mai 2000 nach drei Tagen ab. Sie hatte im Antragverfahren die Frage nach Belastungen am Arbeitsplatz durch schweres Heben und Tragen verneint und die Frage, ob sie nach ihrer Einschätzung die zuletzt ausgeübte Tätigkeit wieder werde verrichten können, bejaht. Die Klinik übernahm im Entlassungsbericht vom 8. Juni 2000, der eine sozialmedizinische Beurteilung nicht enthielt, die von Dr. R. gestellten Diagnosen und führte aus, die Klägerin habe sich auf das therapeutische Angebot der Klinik nicht einlassen können. Sie hatte dort in erster Linie über seit dem Beginn des Jahres bestehende Depressionen geklagt, die sie mit der im Dezember des Vorjahres durchgeführten Operation an der Halsschlagader in Verbindung brachte, in deren Gefolge verschiedene körperliche Beschwerden immer mehr zugenommen hätten.

Ihren ersten Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 28. Juli 2000 begründete die Klägerin mit Beschwerden im Hals nach Halsschlagader-Operation, Kopfschmerzen, Bluthochdruck und Ohrgeräuschen. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. von M. bestätigte nach Untersuchung der Klägerin am 17. November 2000 in ihrem Gutachten vom selben Tage die von Dr. R. im März des Jahres gestellten Diagnosen und vertrat die Auffassung, die Klägerin könne mit diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihre bisherige Arbeit sowie vergleichbare körperlich durchschnittlich belastende Arbeiten vollschichtig verrichten. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 13. Dezember 2000 ab. Der nicht näher begründete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2001). Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (S 4 851/01) kam der vom Gericht zum Sachverständigen bestellte Internist Dr. W. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 27. März 2002 in seinem Gutachten vom 3. April 2002 zum Ergebnis, ihre Leistungsfähigkeit sei beeinträchtigt durch - ein arterielles Bluthochdruckleiden, bisher medikamentös nicht ausreichend eingestellt, aber ohne gravierende Rückwirkungen auf das Herz-und Gefäßsystem, - einen Zustand nach erfolgreicher Beseitigung einer Verengung der Hirnschlagader rechts, - einen psychovegetativen Erschöpfungszustand mit fortbestehenden Ängsten und vielfältigen Mißempfindungen. Die Klägerin könne damit an nicht gefährdenden Arbeitsplätzen körperlich leichte Arbeiten vollschichtig, mittelschwere nur noch gelegentlich (unterhalbschichtig) verrichten; auszusc...

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