Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung. Erstattungsforderung. Pflicht zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen. Unvollständigkeit der Nachweise nach Ablauf der gesetzten Frist. Vorlage der fehlenden Unterlagen erst im Klageverfahren
Orientierungssatz
Der Vorschrift des § 41a Abs 3 S 4 SGB 2 kommt nach Ansicht des Senats keine materielle Präklusionswirkung zu (vgl LSG Hamburg vom 22.6.2021 - L 4 AS 215/20 und vom 5.8.2021 - L 4 AS 189/20). Erst nach Fristablauf im Klageverfahren vorgelegte Unterlagen zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen sind daher nicht unbeachtlich und noch zu berücksichtigen.
Tenor
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in der ersten Instanz zur Hälfte und im Berufungsverfahren ganz.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer endgültigen Leistungsfestsetzung für die Zeit vom 1. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 sowie damit einhergehende Erstattungsforderungen.
Der 1970 geborene Kläger zu 1. steht seit 2010 im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten. Er ist seit 2016 als Werbetechniker selbständig tätig.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2017 (Bewilligungszeitraum 1.10.2017 bis 31.3.2018) und Änderungsbescheiden vom 25. November 2017 (1.1.2018 bis 31.3.2018), 11. Dezember 2017 (1.11.2017 bis 31.3.2018) sowie 8. Januar 2018 (1.1.2018 bis 31.1.2018) bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1. und den mit ihm in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen - seiner Ehefrau N.T. (Klägerin zu 2.), dem 2011 geborenen Sohn E. (Kläger zu 3.) sowie dem 2000 geborenen Sohn M. (Kläger zu 4.) vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und zwar für Oktober 2017 i.H.v. 188,40 Euro, für November 2017 i.H.v. 782,21 Euro, für Dezember 2017 i.H.v. 247,09 Euro, für Januar 2018 i.H.v. 393,95 Euro, für Februar 2018 i.H.v. 263,73 Euro sowie für März 2018 i.H.v. 263,04 Euro. Sämtliche Änderungsbescheide enthielten den Hinweis auf die Vorläufigkeit der Bewilligung.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2018 forderte der Beklagte vom Kläger zu 1. zur Berechnung des endgültigen Leistungsanspruchs hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 eine abschließende Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (EKS), Nachweise über sämtliche Einnahmen und Ausgaben sowie Kontoauszüge aller privaten und geschäftlichen Konten für diesen Zeitraum und setzte hierfür eine Frist bis zum 10. Juli 2018. Der Beklagte wies darauf hin, dass nach Ablauf der genannten Frist eingereichte Unterlagen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
Mit an den Kläger zu 1. adressiertem Bescheid vom 11. März 2019 stellte der Beklagte, gestützt auf § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II, fest, dass für die Zeit vom 1. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe, da trotz der Aufforderung vom 7. Mai 2018, fehlende Unterlagen bis zum 10. Juli 2018 einzureichen, bisher die abschließende EKS für den genannten Zeitraum mit Angaben über die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben, die einzelnen Nachweise sämtlicher Ein- und Ausgaben in zeitlicher Reihenfolge und nach einzelnen Posten sortiert sowie Kontoauszüge aller privaten und geschäftlichen Konten nicht eingereicht worden seien.
Am 18. März 2019 reichte der Kläger zu 1. einen Ordner mit Betriebsunterlagen ein, darin enthalten eine ausgefüllte Anlage EKS für den Zeitraum ab April 2018 sowie eine weitere Anlage EKS, die nach ihrer Seite 1 den Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 betreffen sollte, während auf den nachfolgenden Seiten die Spalten mit April 2018, Mai 2018, Juni 2018, Juli 2018, August 2018 sowie März 2018 überschrieben waren und keine Eintragungen enthielten. Zudem reichte der Kläger zu 1. zahlreiche chronologisch sortierte Belege aus dem streitgegenständlichen Zeitraum ein.
Gegen den Bescheid vom 11. März 2019 erhob der Kläger zu 1. am 25. März 2019 Widerspruch mit der Begründung, dass er die angeforderten Unterlagen am 18. März 2019 am Empfang im Jobcenter abgegeben habe. Er habe den Beklagten zuvor darüber informiert, dass sein Steuerberater die Unterlagen benötigt habe, um den Jahresabschluss für das Finanzamt zu erstellen, wobei es aufgrund zweimaliger Umzüge des Steuerberaters zu Verzögerungen gekommen sei. Schließlich habe er den Jahresabschluss selbst erstellt und sofort im Anschluss die Unterlagen mit der abschließenden EKS eingereicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2019 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger zu 1. habe im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zwar nun Belege über die Betriebseinnahmen und -ausgaben für den Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 eingereicht, jedoch keine ausgefüllte Anlage EKS, anhand derer die Betriebseinnahmen und -ausgaben abschließend hätten geklärt werden könne...