Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Ende der Zulassung mit Vollendung des 68. Lebensjahres. kein Verstoß gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschrift des § 95 Abs 7 S 3 SGB 5, wonach die Zulassung eines Vertragsarztes am Ende des Kalendervierteljahres endet, in dem dieser sein achtundsechzigstes Lebensjahr vollendet, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Altersgrenze ist Teil einer verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzgeberischen Gesamtabwägung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zur Gewährleistung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung (Anschluss an BverfG vom 31.3.1998 - 1 BvR 2167/93 = SozR 3-2500 § 95 Nr 17 sowie BVerfG vom 4.10.2001 - 1 BvR 1435/01).

2. Die Altersgrenze des § 95 Abs 7 S 3 SGB 5 verstößt auch weder gegen primäres noch sekundäres Gemeinschaftsrecht. Diejenigen Gründe, die geeignet sind, eine Ungleichbehandlung vor dem Grundgesetz zu rechtfertigen, rechtfertigen auch die Ungleichbehandlung vor dem Gemeinschaftsrecht.

3. Die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit Vollendung des achtundsechzigsten Lebensjahres stellt sich auch nicht als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung aus Gründen des Alters im Sinne des als Art 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung am 15.8.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - AGG - (BGBl I S 1897) dar. Vielmehr handelt es sich um eine nach § 10 AGG zur Erhaltung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und der Strukturverbesserung erforderliche, geeignete und auch verhältnismäßige Maßnahme der Differenzierung aus Altersgründen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.02.2008; Aktenzeichen B 6 KA 58/07 B)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist das Fortbestehen der Zulassung der Klägerin zur vertragsärztlichen Versorgung über den 30. Juni 2004 hinaus.

Bezüglich der im Mai 1936 geborenen und seit 1982 als praktische Ärztin zur vertragsärztlichen Versorgung in Hamburg zugelassenen Klägerin beschloss der Zulassungsausschuss am 10. März 2004, dass die Zulassung nach § 95 Abs. 7 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V, Fassung ab 1. Januar 2004) mit Ablauf des 30. Juni 2004 ende, weil die Klägerin das 68. Lebensjahr vollendet habe.

Die Klägerin, die ihre Praxis mit dem 30. Juni 2004 einstellte, erhob Widerspruch. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses verstoße gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Grundgesetz (GG), Europarecht und gegen Konventionsrechte, vor allem gegen die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 (NJW 2001, Beilage zu Heft 37). Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 31. März 1998 (1 BvR 2167/93, 2198/93, NJW 1998, 1776) seien nicht überzeugend. Die Klägerin verwies insoweit u. a. auf den sich mit diesen Beschlüssen auseinandersetzenden Beitrag ihres Ehemannes “Zur Zwangspensionierung der Ärzteschaft„ und auf einen weiteren Beitrag desselben vom 15. Mai 2000 (“Trauer muss Justitia tragen„). Sie werde durch § 95 Abs. 7 SGB V wegen Alters diskriminiert. Die Richtlinie 2000/78/EG mache die Abschaffung der Altersgrenze für Vertragsärzte erforderlich. Im Übrigen bezog sich die Klägerin auf den Inhalt weiterer Schreiben ihres Ehemannes aus den Jahren 2000, 2002 und 2004 zum “68er-Beschluss„ in seiner Funktion als Vorstandssprecher von Die G. P. e. V. und auf Stimmen in der Literatur.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Beschluss vom 18. August 2004 zurück. Gegen diesen am 9. September 2004 zur Post gegebenen Beschluss richtet sich die am 8. Oktober 2004 erhobene Klage.

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten und die Klägerin zwecks Erlasses eines Gerichtsbescheids angehört (Stellungnahmen der Klägerin vom 30. November und 23. Dezember 2004) und die Klage durch Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2006 abgewiesen. Seine Entscheidung hat es u. a. auf den Beschluss des BVerfG vom 18. Mai 2001 (1 BvR 522/01, ArztR 2001, 303), das Urteil des BSG vom 12. September 2001 (B 6 KA 45/00 R, SozR 3- 2500 § 95 Nr. 32) und dessen Beschluss vom 27. April 2005 (B 6 KA 38/04 B, juris) gestützt. § 95 Abs. 7 SGB V verstoße weder gegen Art. 3, 12, 14 GG noch gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG erlaube Ungleichbehandlungen wegen des Alters in besonderen Fällen, in denen keine Diskriminierung vorliege. Um einen solchen Fall handele es sich bei der streitigen Altersbeschränkung. Im Übrigen sei im Zeitpunkt der Entscheidung die in dieser Richtlinie bestimmte Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Ein Verstoß gegen völkerrechtlich verbürgte Menschenrechte sei nicht ersichtlich.

Gegen den ihr am 11. Januar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10. Februar 2006 Berufung eingelegt. Sie beruft sich auf die E...

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