Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. allogene Stammzelltherapie im Off-Label-Use bei Mantelzelllymphom. Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse nach grundrechtsorientierter Leistungsauslegung

 

Orientierungssatz

1. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse für eine Krankenhausleistung entsteht nur, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs 1 S 2 SGB 5 erforderlich ist. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen sind ergänzend die Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung abzuklären.

3. Es ist mit den Maßstäben der grundrechtsorientierten Leistungsauslegung nicht zu vereinbaren, einem Versicherten, der an einem Mantelzelllymphom leidet, eine Versorgung mit allogener Stammzellentransplantation im Rahmen des Off-Label-Use zu versagen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.03.2020; Aktenzeichen B 1 KR 20/19 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist eine Vergütungsforderung der Klägerin, wobei es um die Vergütung einer allogenen Stammzelltherapie im OFF-Label-Use bei Mantelzelllymphom geht.

Der 1950 geboren Versicherte H.B. wurde dabei vom 17. März 2010 bis zum 21. April 2010 im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Bei ihm war zuvor im Dezember 2003 ein Mantelzelllymphom im Stadium IV diagnostiziert worden. Nach Chemotherapie mit anschließender autologer Blutstammzelltransplantation erreichte der Patient eine komplette Remission. Im Oktober 2008 kam es zu einem zytologisch gesicherten Rezidiv des Mantelzelllymphoms. Durch eine Strahlentherapie von Dezember 2008 bis Januar 2009 wurde eine zweite komplette Remission erreicht.

Am 17. Februar 2010 wurde mit dem Versicherten eine Einverständniserklärung zur allogenen Stammzelltransplantation (Blut und Knochenmark) erörtert und von diesem unterzeichnet. Dort heißt es unter anderem:

„Mir ist bewusst, dass es im Zusammenhang mit der Behandlung zu schwerwiegenden Infektionen, Blutungen, Störungen der Funktion lebenswichtiger Organe, Ausbleiben der Transplantation sowie einer Transplantation-gegen-Wirt-Reaktion kommen kann, und dass das Risiko, an einer dieser Komplikationen zu versterben, nicht unerheblich ist. Auch auf weitere Risiken und Nebenwirkungen des Verfahrens (Übelkeit, Erbrechen, Thrombozytopenie, Unverträglichkeitsreaktionen, Gesinnungsstörungen, Blutungen, Substitution mit Blutpräparaten, Übertragung von Infektionen durch Blutprodukte, Haarausfall, Sterilität, Zweittumorerkrankung) wurde ich ausreichend hingewiesen und aufgeklärt.“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Erklärung Bezug genommen.

Am 25. März 2010 wurde sodann die hier streitige allogene Stammzelltransplantation durchgeführt. Im Verlauf des 7. Mai 2010 wurde der Patient notfallmäßig aufgenommen und verstarb an den Folgen einer Sepsis mit Multiorganversagen am 17. Juni 2010.

Mit Rechnung vom 31. Mai 2010 machte die Klägerin auf der Basis der DRG A04C „Knochenmarktransplantation / Stammzelltransfusion, allogen, außer bei Plasmozytom, ohne In-vitro-Aufbereitung, ohne Graft-versus-host-Krankheit Grad III und IV, HLA-identisch“ 80.360,66 € gegenüber der Beklagten geltend, die von der Beklagten zunächst bezahlt wurden. Der von der Beklagten beauftragte MDK kam in einem Gutachten von Dezember 2011 zu dem Ergebnis, dass die medizinische Notwendigkeit für eine allogene Stammzelltransplantation bei anscheinend langsam wachsendem Mantelzelllymphom und nicht aggressivem Verlauf nicht nachvollziehbar sei. Erst bei Auftreten eines erneuten Rezidivs wäre eine allogene Stammzelltransplantation nachvollziehbar gewesen. Die von der Clearingstelle aufgestellte dringende Indikation, wie häufige Rezidive, Hochrisikosituation oder erhebliche klinische Symptomatik und Versagen herkömmlicher Therapien sei bei einer bereits seit einem Jahr bestehenden kompletten Remission nicht zu erkennen.

Gegen diese Beurteilung hat für die Klägerin Professor Dr. G. Stellung genommen und ausgeführt, aus ersten Ergebnissen einer klinischen Studie folge, dass beim Mantelzelllymphom bei einem Rezidiv nach vorangegangener Hochdosistherapie und autologer Stammzelltransplantation die Erfolgsaussichten einer zweiten autologen Stammzelltherapie in der Regel minimal seien. Die allogene Stammzelltherapie weise in dieser Situation demgegenüber in einer Reihe von Studien hervorragende Überlebensraten mit einem Gesamtüberleben von 52 bis 85 % nach 3 bis 4 Jahren auf. Diese Therapiemodalität stelle gegenwärtig die einzige sichere Chance auf eine Langzeitremission zumindest im Rezidiv dar.

Die Beklagte hat sich dem nicht angeschlossen und rund 45.000 € mit anderen unstreitigen Forderungen verrechnet.

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