Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Behandlung mit allogener Stammzelltherapie nach zweimaliger autologer Stammzellentherapie. nicht anerkannte Behandlungsmethode. Vergütungsanspruch. Krankenhaus. grundrechtsorientierte Auslegung. wirksame Einwilligung des Versicherten. Dokumentationspflicht. Beweislast. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse. Qualitätsgebot. Multiples Myelom
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Behandlung mit allogener Stammzelltherapie nach zweimaliger autologer Stammzellentherapie in der Erstlinientherapie eines multiplen Myeloms entspricht keinem klinisch geprüften Behandlungskonzept.
2. Ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse kann bei dieser neuen nicht anerkannten Behandlungsmethode nur aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung der Normen des SGB V gegeben sein.
3. Eine wirksame Einwilligung des Versicherten ist eine weitere Voraussetzung für den Vergütungsanspruch.
4. Zu den Inhalten und Dokumentationspflichten der Aufklärung und Einwilligung bei nicht anerkannten Behandlungsmethoden mit einem hohen Risikopotenzial.
5. Das Krankenhaus muss seinen Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse im Zweifel beweisen. Dazu gehört auch die wirksame Aufklärung und Einwilligung des Versicherten in die Heilbehandlung.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 27 Abs. 1 S. 1, §§ 39, 109 Abs. 4 S. 3, § 137c Abs. 1; KHEntgG § 7 S. 1 Nr. 1; KHG § 17b
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 13. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens für beide Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 81.288,56 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Krankenhausbehandlungskosten für eine allogene Stammzelltherapie.
Der bei der Beklagten krankenversicherte, 1953 geborene E... E... (Versicherter) wurde vom 1. August bis 22. August 2005 im Universitätsklinikum des Klägers in K... stationär behandelt. Der Versicherte litt an einem multiplen Myelom, einer Krebserkrankung des Knochenmarks. Nach der erstmaligen Diagnose im Juli 2004 wurde der Versicherte zunächst chemotherapeutisch behandelt. Anschließend erfolgten im November 2004 und Januar 2005 zwei autologe Stammzelltransplantationen, die zu keiner vollständigen Remission führten. Die entsprechenden Rechnungen für diese Behandlungen sind von der Beklagten bezahlt worden. Im August 2005 wurde dann eine allogene Stammzelltransplantation mit Zellen eines nicht verwandten Spenders durchgeführt. Im Jahr 2008 ist der Versicherte an seiner Krebserkrankung verstorben.
Mit Rechnungen vom 30. August 2005 und 2. März 2006 macht der Kläger hierfür insgesamt einen Betrag von 81.288,56 EUR (67.999,56 EUR und 13.289,00 EUR) gegenüber der Beklagten geltend. Diesen hat die Beklagte zunächst unter Vorbehalt bezahlt und nach Durchführung einer MDK-Prüfung am 2. Januar 2009 wieder vollständig mit anderen unstreitigen Forderungen verrechnet.
Mit der am 17. Dezember 2009 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Klage hat der Kläger die Begleichung des offenen Betrages in Höhe von 81.288,56 EUR begehrt. Er hat die durchgeführte stationäre Behandlung für erforderlich gehalten. Die gewählte Behandlung sei zum damaligen Zeitpunkt vom medizinischen Standpunkt als Standardtherapie anzusehen gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 81.288,56 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 2 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. Januar 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die durchgeführte Behandlung für medizinisch nicht erforderlich gehalten. Bei der allogenen Stammzelltransplantation mit Zellen eines nicht verwandten Spenders nach zwei vorangegangenen autologen Stammzelltransplantationen handele es sich nicht um eine Standardtherapie. Sie hat sich dabei auf ein Gutachten des MDK vom 13. März 2008 berufen. Diese Behandlung sei insoweit nicht erforderlich gewesen. Vielmehr sei sie sogar mit höheren Gefahren für den Versicherten verbunden gewesen.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der beauftragte Gutachter Prof. Dr. H... hat am 15. Oktober 2011 mit zwei ergänzenden Stellungnahmen vom 25. Februar 2012 und 18. April 2012 nach Aktenlage ein Gutachten erstellt und ist bei Bestätigung der Erkrankungen des Versicherten zu der Einschätzung gelangt, dass die vorliegend durchgeführte Behandlung mit zwei autologen und einer allogenen Stammzelltransplantationen nicht dem medizinischen Standard entspreche. Als Standardtherapie zum Zeitpunkt der Behandlung müsse die Durchführung zweier autologer Stammzelltransplantationen angesehen werden. Darüber hinaus hätten bereits zu diesem Zeitpunkt belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegen, die Vorteile bei einer kombinierten Therapie aus einer autologen und einer allogenen Stammzelltransplantatio...