Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Witwenrente. Ausschlusstatbestand gem § 65 Abs 6 SGB 7. gesetzliche Vermutung: Versorgungsgedanke als wesentliches Heiratsmotiv. Widerlegung durch den Vollbeweis des Gegenteils (§ 202 SGG iVm § 292 ZPO). besondere Umstände des Einzelfalls
Orientierungssatz
1. Der Begriff der "besonderen Umstände" gem § 65 Abs 6 SGB 7 ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der durch die Sozialversicherungsträger und die Gerichte mit einem bestimmten Inhalt auszufüllen ist und dessen Beurteilungsspielraum im konkreten Fall der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt.
2. Letztlich sind im jeweiligen Einzelfall alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten zu berücksichtigen und in ihrer Bedeutung gegeneinander abzuwägen. Hierbei sind alle äußeren und inneren Umstände zu berücksichtigen. Die hiernach zu treffende Abwägung hat indessen nicht unabhängig von den nach außen erkennbaren Gesamtumständen zu erfolgen. Insbesondere dem Gesundheits- bzw Krankheitszustand des Versicherten kommt hierbei erhebliche Bedeutung zu.
3. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat vollständig anschließt (Anschluss an BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R = BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6), steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres angeführt werden.
4. Für ein Gewahrwerden des schlechten Gesundheitszustands muss keine tatsächliche Kenntnis über ein kurz bevorstehendes Ableben, sondern ausschließlich über eine lebensbedrohliche Erkrankung und den damit einhergehenden Gesundheitszustand bestehen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wobei insbesondere streitig ist, ob der Rentenanspruch trotz der kurzen Ehedauer von acht Tagen besteht.
Die Klägerin ist die Witwe des 2016 verstorbenen, bei der Beklagten versichert gewesenen und 1943 geborene H. T. (Versicherter). Die Eheleute heirateten 2016.
Der verstorbene Versicherte war als Maschinenschlosser in der P. in E-Stadt tätig. Im Rahmen der Schiffsinstandsetzung sind dort regelmäßig benzolhaltige Reinigungsmittel verwandt worden. Im April des Jahres 2016 wurde bei dem verstorbenen Versicherten ein Blutkrebs mit bereits vorhandener Herzbeteiligung festgestellt. Auf Veranlassung der AOK gelangte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 zu dem Ergebnis, dass die Erkrankung auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei und erkannte die Berufskrankheit Nr. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung („Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol“) an. Orientiert an der erstmaligen Vorstellung des Versicherten beim Arzt wegen Kurzatmigkeit, stellte die Beklagte als Tag des Versicherungsfalles den 19. November 2015 fest.
Die Blutkrebsdiagnose beim Versicherten ist erstmals im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes anlässlich einer Ohnmacht beim „Wäscheaufhängen“ im April 2016 gesichert worden. Der Versicherte hatte bereits im August 2015 erstmals Beschwerden und suchte die Internistin B. auf, bei der er über eine mäßige belastungsabhängige Kurzatmigkeit klagte. Der Versicherte unterzog sich in der Folgezeit einer umfangreichen Therapie in den Kliniken der Universitätsmedizin G.. Aus einem Ambulanzbrief der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin C vom 14. Juni 2016 geht hervor, dass mit dem Versicherten an diesem Tag der Beginn einer palliativen Chemotherapie vereinbart wurde. In einem anlässlich eines Krankenhausaufenthaltes in der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin C vom 26. Oktober 2016 bis 01. November 2016 gefertigten Entlassungsbrief vom 01. November 2016 heißt es, dass der Versicherte sowohl auf die Symptom- wie auch die Chemotherapie nicht entscheidend anspreche. Weiter heißt es, dass die Befunde ausführlich mit dem Patienten und der Ehefrau besprochen worden seien. Im weiteren Verlauf wurde der Versicherte am 14. Dezember 2016 in das Kreiskrankenhaus E-Stadt aufgenommen, wo er am 31. Dezember 2016 verstarb. (vgl. dortiger Bericht vom 04.01.2017). Die intensivmedizinischen Maßnahmen waren ausweislich des Berichtes bei fehlendem Therapieansatz wohl am 29. Dezember 2016 beendet worden.
Die Klägerin und der Versicherte hatten am 23. Dezember 2016 noch im Krankenhaus geheiratet. Aus der beigezogenen Standesamtsakte ist ersichtlich, dass die Trauung als sogenannte Nottrauung durchgeführt wurde. Ausweislich der Akte wurde die Trauung „so schnell wie möglich gewünscht“. Am 20. Dezember 2016 wurde sie zunächst auf einen unbestimmten Tag verschoben, da der behandelnde ...