Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. rechtsgrundlose Kindergeldnachzahlung. Erstattungspflicht. Nichtvorliegen bereiter Mittel
Leitsatz (amtlich)
Eine Nachzahlung von Kindergeld für Zeiten mit Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, die sich wegen Missachtung von § 74 Abs 2 EStG iVm § 107 Abs 1 SGB X (Erfüllungsfiktion) als rechtsgrundlos darstellt, ist von Anfang an mit einer vollumfänglichen Erstattungspflicht belastet, die für ihre Entstehung keines (konstitutiven) Erstattungs-Verwaltungsaktes der Familienkasse bedarf. Eine derartige Zahlung führt nicht zu bereiten Mitteln und ist daher im Rahmen von § 11 SGB II nicht als Einkommen anspruchsmindernd anzurechnen.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 2, § 66 Abs. 2, § 70 S. 2, § 75 Abs. 2; SGB X § 107 Abs. 1, § 37 Abs. 2, § 45 Abs. 1, § 2 S. 3, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 50 Abs. 2 S. 2, § 104 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2; SGB II § 11 Abs. 1 Sätze 3-4, Abs. 3 S. 2, §§ 11b, 40 Abs. 2 Nr. 3; SGB III § 330 Abs. 2; SGB I § 51 Abs. 2; AO § 37 Abs. 2, § 218 Abs. 2; SGG §§ 86, 123
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im zweiten Rechtszug. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist noch die teilweise Aufhebung und Erstattung von Leistungen für die Klägerin zu 2. für die Monate Oktober und November 2015 in Höhe von 552 Euro wegen Anrechnung von Kindergeld als Einkommen.
Die Klägerin zu 1. beantragte am 26. März 2015 beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Sie gab hierbei an schwanger zu sein. Der voraussichtliche Entbindungstermin ihres Kindes sei am 31. August 2015.
Mit Bescheid vom gleichen Tage bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. Leistungen für den Zeitraum von März 2015 bis August 2015 und mit Bescheid vom 11. August 2015 für den Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 vorläufig, da sich die Anzahl der Personen der Bedarfsgemeinschaft ändern werde.
Am 3. September 2015 wurde die Klägerin zu 2. geboren.
Mit Schreiben vom 30. September 2015 machte der Beklagte u.a. gegenüber der F. einen Erstattungsanspruch hinsichtlich des zu gewährenden Kindergeldes geltend. Das Schreiben ging bei der F. am 6. Oktober 2015 ein.
Mit Änderungsbescheid vom 1. Oktober 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. und nunmehr auch der Klägerin zu 2. vorläufig Leistungen für September 2015 bis Februar 2016, ohne dabei Einkommen aus Kindergeld in Anrechnung zu bringen. Unter dem gleichen Datum forderte der Beklagte die Klägerin auf, die Bescheide zu Kindergeld, Elterngeld, Unterhaltsvorschuss und Mutterschaftsgeld vorzulegen.
Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015 setzte die Familienkasse das Kindergeld für die Klägerin zu 2. für den Zeitraum von September 2015 bis September 2033 gegenüber der Klägerin zu 1. in Höhe von 188,00 Euro monatlich fest (Kindergeld-Nummer). Die Überweisung der Nachzahlung für September und Oktober 2015 in Höhe von 376,00 Euro werde in Kürze erfolgen. Sie erfolgte tatsächlich am 14. Oktober 2015; das Kindergeld für November 2015 in Höhe von 188 Euro wurde am 10. November 2015 gezahlt.
Nachdem die Familienkasse dem Beklagten am 11. November 2015 telefonisch die Rechtzeitigkeit seines Erstattungsanspruchs mitgeteilt und um Bezifferung gebeten hatte, bewilligte er den Klägerinnen mit Bescheid vom 11. November 2015 endgültig Leistungen für September 2015 bis Februar 2016, wobei er das Kindergeld ab Dezember 2015 als Einkommen der Klägerin zu 2. in Anrechnung brachte. Mit Schreiben vom gleichen Tage bezifferte der Beklagte seinen Erstattungsanspruch gegenüber der Familienkasse unter Verweis auf sein Schreiben vom 30. September 2015 und unter Angabe der der Klägerin zu 2. in den Monaten September, Oktober und November 2015 bewilligten Leistungsbeträge auf insgesamt 552 Euro, wobei er sich auf § 40a SGB II i. V. m. § 104 SGB X stützte. Von diesem Schreiben erhielt die Klägerin zu 1. am gleichen Tage einen Abdruck zur Kenntnisnahme; sie möge beachten, dass von ihr keine Zahlungen zu leisten seien; sie erhalte das Schreiben lediglich zu ihrer Information.
Die Familienkasse kündigte dem Beklagten am 25. November 2015 die Erstattung in der verlangten Höhe von 552 Euro an, welche kurz darauf auch erfolgte. Gegenüber der Klägerin zu 1. machte die Familienkasse mit Bescheid vom 25. November 2015 gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) eine Erstattungsforderung in eben dieser Höhe von 552 Euro geltend. Der Beklagte habe für diesen Zeitraum das Kindergeld durch Nichtanrechnung auf das Arbeitslosengeld II vorgeleistet und von ihr entsprechende Erstattung gefordert. Ihre Zahlung an die Klägerin sei daher ohne Rechtsgrund erfolgt. Die Überzahlung werde gemäß § 75 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in monatlichen Raten von 50 % des Anspruchs auf Kindergeld einbehalten. Der Beklagte erh...