Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Verwertbarkeit eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Entscheidung über eine beantragte Erwerbsminderungsrente

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB 2 ist ausgeschlossen, wenn die hierzu erforderlichen medizinischen Voraussetzungen nicht vorliegen. Für eine Rentengewährung ist erforderlich, dass das Leistungsvermögen aufgrund der vorhandenen Erkrankungen auf unter sechs Stunden täglich abgesunken ist.

2. Liegen zum Leistungsvermögen des Versicherten insgesamt vier Sachverständigengutachten vor und bejaht nur eines davon ein entsprechend abgesunkenes Leistungsvermögen, so ist der dem Versicherten obliegende Beweis einer Erwerbsminderung nur dann geführt, wenn dieses wesentlich überzeugender ist als die übrigen Gutachten.

3. Die Verwertung eines medizinischen Sachverständigengutachtens setzt voraus, dass dieses in sich schlüssig und in der Bewertung des Leistungsvermögens überzeugend ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.10.2021; Aktenzeichen B 5 R 172/21 B)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 19.04.2018 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung einer befristet bewilligten Erwerbsminderungsrente.

Die Beklagte hatte der im Jahr 1962 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 18.07.2014 eine volle Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.05.2013 bis 30.04.2015 bewilligt. Herbei ging die Beklagte aufgrund eines Gutachtens der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 25.03.2014 vom Vorliegen eines Leistungsvermögens der Klägerin von unter 3 Stunden täglich aus.

Am 04.12.2014 beantragt die Klägerin die Weitergewährung der Rente für die Zeit ab dem 01.05.2015. Die Beklagte ließ die Klägerin erneut durch Dr. K. begutachten. Diese stellte nach Untersuchung der Klägerin am 19.02.2015 folgende Diagnosen:

- rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode

- kombinierte Persönlichkeitsstörung (emotional instabil, psychoneurotisch)

- undifferenzierte Somatisierungsstörung

- anamnestisch: SD-Funktionsstörung

- anamnestisch: Neurodermitis

Im Vergleich zur Voruntersuchung erscheine der Zustand der Klägerin gebessert. Die ausgeprägte emotionale Aufgewühltheit und Verworrenheit sei nicht mehr vorhanden. Die Klägerin wirke ausreichend schwingungsfähig, die körperliche Beschwerdesymptomatik erscheine eher geringgradig. Da die Klägerin trotz mehrfacher Hinweise der Behandler und Gutachter weder eine tagesklinische oder stationäre psychiatrische Behandlung noch eine Psychotherapie oder medikamentös antidepressive Behandlung in Anspruch genommen habe, sei davon auszugehen, dass kein wesentlicher Leidensdruck bestehe und sich die Klägerin mit ihren Beschwerden gut arrangiert habe. Die Klägerin sei wieder in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden seien erhöhter Zeit- und Leistungsdruck, Verantwortung für Menschen oder Materialien sowie Nachtschichten.

Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 05.03.2015 ab, da die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht vorlägen.

Hiergegen erhob die Klägerin fristgemäß Widerspruch. Die Beurteilung des Gutachtens zum Leistungsvermögen der Klägerin sei aus der Luft gegriffen. Dem Inhalt des Gutachtens sei kein Hinweis zu entnehmen, welche Feststellungen zu diesem Ergebnis geführt hätten. Die Klägerin sei von Oktober 2013 bis Januar 2014 in Frau DM P. psychiatrischer Behandlung gewesen. Diese habe die Behandlung aus nicht ersichtlichen Gründen beendet. Unmittelbar danach habe die Klägerin keinen neuen Behandler finden können. Seit November 2014 sei sie bei Frau DM Z. in Behandlung und habe jetzt auch einen Therapieplatz für eine psychotherapeutische Behandlung in Aussicht. Eine Behandlung habe somit im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durchgehend stattgefunden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2015 unter Wiederholung der Begründung des Ursprungsbescheides zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.07.2015 Klage zum Sozialgericht Neubrandenburg erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat die Klägerin eine Stellungnahme ihrer behandelnden Ärztin Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie DM Z. vorgelegt. Hiernach leide die Klägerin an rezidivierenden depressiven Episoden, Angst- und Panikstörungen sowie einer ausgeprägten Somatisierungsstörung mit Chronifizierung, wahrscheinlich auf der Grundlage einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Aus neuropsychiatrischer Sicht sei nun nach 2 Jahren Berentung unter den genannten Diagnosen nur mit einer Arbeitsleistung von unter 3 Stunden zu...

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