Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Grad der Behinderung. Bemessung eines GdB bei einem Wirbelsäulenleiden. Ermittlung des Gesamt-GdB bei Hinzutreten eines Schmerzsyndroms
Orientierungssatz
1. Schwere funktionelle Auswirkungen eines Wirbelsäulenleidens sind jedenfalls dann mit einem GdB von 30 bewertet, wenn diese nur in einem Wirbelsäulenabschnitt auftreten, während in den anderen Wirbelsäulenabschnitten allenfalls leichte Beeinträchtigungen gegeben sind.
2. Tritt zu einem mit einem GdB von 30 bewerteten Wirbelsäulenleiden ein Schmerzsyndrom hinzu, das mit einem GdB von 20 zu bewerten ist, so ist daraus, wegen einer Überschneidung der Beschwerdekomplexe, ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
3. Einzelfall zur Zuerkennung des Merkzeichens „G” bei einer Schwerbehinderung (hier: abgelehnt).
Normenkette
SGB IX § 69 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 3 S. 3; VersMedV Anl. zu § 2 Teil A Nr. 3; VersMedV Anl. zu § 2 Teil B Nr. 18.9
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts D-Stadt vom 18. September 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe des festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ gegeben sind.
Der am 1963 geborene Kläger verwies in seinem Antrag nach § 69 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Schwerbehindertenrecht (SGB IX) vom 21. Juli 2005 unter Beifügung von Befundunterlagen auf ein trotz zweier Bandscheiben-OP im Oktober 2004 sowie Februar 2005 bestehendes lumbales Radikulärsyndrom L4/5 rechts und begehrte zu diesem Zeitpunkt die Zuerkennung einer Vielzahl von Merkzeichen (G, aG, H und RF).
Der Beklagte befragte die behandelnden Ärzte Dr. S. und K. Dr. S. (Neurochirurg in den HELIOS Kliniken D-Stadt) berichtete von einem lumbalen Bandscheibenvorfall L4/5 rechts mit leichter Irritation der L5-Wurzel. Grobe sensomotorische Ausfälle hätten nicht eruiert werden können, so dass sich auf Grund dieses Befundes vorerst keine unmittelbaren operativen Konsequenzen ergeben hätten.
In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 17. August 2005 sprach sich der Versorgungsarzt Dr. P. für einen GdB von 30 aus, woraufhin der Beklagte am 6. September 2005 einen entsprechenden Bescheid erließ und mangels Feststellung einer Schwerbehinderung die Zuerkennung von Merkzeichen ablehnte.
Am 4. Oktober 2005 erhob der Kläger Widerspruch. Nach Rücksprache mit seinen behandelnden Ärzten (Prof. Dr. Dr. L., Dr. J.) seien der Behinderungsgrad wesentlich höher einzustufen. Die daraufhin befragten Ärzte berichteten über ein persistierendes, pseudoradikuläres Lumbal- und chronisches Schmerzsyndrom (Dr. J.) bzw. ein Postdiskektomie-Syndrom bei Mehrfach-OP und hochdosierter Schmerztherapie (Prof. Dr. Dr. L.). In einem für die DRV Krankenversicherungs AG erstellten vom 22. November 2005 wurden eine Bandscheibendegeneration L4/5 ohne aktuelle neurologische Ausfallerscheinungen, eine mäßige Bandscheibendegeneration L5/S1 sowie wechselhafte Fehlstatik mit muskulärer Haltungsinsuffizienz dargestellt.
Angesichts dieser widersprüchlichen medizinischen Einschätzungen holte der Beklagte ein fachneurochirurgisches Gutachten von Dr. S. vom 21. März 2006 ein, in welchem dieser zusammenfassend ausführte, es bestehe eine deutliche Belastungsinsuffizienz mit entsprechenden muskulären Defiziten und Veränderungen im BWS/LWS-Bereich. Bei einem Wirbelsäulenschaden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt resultiere ein GdB von 30, zusätzlich sei das chronisch-rezidivierende ausgeprägte Schmerzsyndrom und dadurch bedingte psychische Alteration (Aufgabe des eigenen Geschäftes) mit einem GdB von 20 zu bewerten. Aufgrund des Schmerzsyndroms werde ein GdB von 50 empfohlen.
In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 31. März 2006 äußerte sich Dr. P. dahingehend, dass der gutachterlichen Wertung von Dr. S. hinsichtlich der Einzel-GdB grundsätzlich gefolgt werden könne, eine einfache Addition der Einzel-GdB jedoch nicht erfolgen könne. Ausgehend von einem GdB von 30 wegen des Wirbelsäulenleidens rechtfertige das vorliegende Schmerzsyndrom mit seelischen Begleiterscheinungen einen Gesamt-GdB von 40. Bei einem in zwei Fachgutachten demonstrierten gleichmäßigen, flüssigen Gangbild sei eine erhebliche Gehbehinderung nicht nachvollziehbar.
Mit Teilabhilfebescheid vom 10. April 2006 erkannte der Beklagte nunmehr einen GdB von 40 an. Der aufrechterhaltene Widerspruch wurde dann mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2006 zurückgewiesen.
Am 14. Juli 2006 ist Klage vor dem Sozialgericht (SG) Schwerin erhoben worden. Der Kläger stehe praktisch ständig unter dem Einfluss erheblicher Schmerzmittel, so dass deshalb möglicherweise bei Untersuchungen der Eindruck geringerer Beeinträchtigungen entstanden sei. Zudem liege ...